Definition: Die Persönlichkeitsstörungen sind durch tief verwurzelte, zeitlich überdauernde Erlebnis- und Verhaltensmuster charakterisiert, die sich in starren Reaktionen und Denkweisen auf die individuellen und sozialen Lebenslagen unzwecksmäßig auswirken und von den soziokulturellen Normen abweichen.

 

Ätiologie: Die Ätiologie der Persönlichkeitsstörungen weist kein einheitliches Konzept auf; vielmehr besteht eine komplexe Genese aus psychologischen, biologischen und soziologischen Aspekten, die innerhalb der unterschiedlichen Lebensphasen zu Störungen führen können. Verschiedene Konzepte der Ätiologie der Persönlichkeitsstörungen existieren.

I: Psychodynamische Sicht: Sie geht davon aus, dass Persönlichkeitsstörungen aufgrund von Störungen der psychosexuellen Entwicklung, Ich-Funktion und nicht zuletzt der Objektbeziehung in den einzelnen frühkindlichen Entwicklungsphasen entstehen. 

1) Störungen in der oralen Phase: wie Entwicklungsverzögerungen und Konflikte führen zu forderndem bzw. abhängigem Verhalten, welches man bei der abhängigen - bzw. passiv-aggressiven PS findet.

2) Störungen in der analen Phasen: Es kommt zu zwanghaften, rigiden Verhalten mit emotionaler Distanz. Hieraus entwickelt sich nicht selten eine zwanghafte Persönlichkeitsstruktur.

3) Störung in der phallischen Phase: Hierbei kristallisiert sich die Unfähigkeit zu intimen Beziehungen und die oberflächliche Emotionalität, wie man sie bei den histrionischen Persönlichkeitsstörungen findet, heraus.

II: Lerntheoretische Sicht:  Aus lerntheoretischer Sicht stellen Persönlichkeitsstörungen ein gelerntes Verhalten dar. Gelernt wird anhand folgender Prinzipien:  

→ 1) Operante Konditionierung: Beeinflussung des Verhaltens durch positive bzw. negative Verstärker.

→ 2) Modelllernen: Verhaltensmodifikation durch Lernen am Beispiel anderer Personen. Hierdurch werden bestimmte angelegt Verhaltensweisen übermäßig weiterentwickelt bzw. vernachlässigt. Aufgrund dieser Kognitionen prägen subjektive Vorstellungen das Selbstbild und das der Mitmenschen und lassen diesbezüglich angepasste Verhaltensstrategien entstehen.

III: Neurobiologische Sicht: Besondere Bedeutung haben hirnorgansiche Veränderungen und Stoffwechselstörungen. Nicht selten findet man bei den Patienten mit Persönlichkeitsstörung in der Kindheit schon Minimal-brain-dysfunction“ in Form von leichteren neurologischen Auffälligkeiten, Verhaltensauffälligkeiten wie Hyperaktivität und verminderte Konzentrationsfokussierung.

 

Epidemiologie:

→ I: Die Prävalenzrate für Persönlichkeitsstörungen liegt in der deutschen Allgemeinbevölkerung bei ca. 10% (bei den psychiatrischen Patienten liegt sie mit 40-80% der Fälle deutlich höher), wobei die Prävalenzen bei den einzelnen Persönlichkeitssubtypen sehr stark variieren. Insgesamt wird die ängstlich-vermeidende PS am häufigsten diagnostiziert.

→ II: Frauen sind bezüglich der Gesamtheit der Persönlichkeitsstörungen genauso häufig wie Männer betroffen. 

 

Klinisch-relevant:

→ A) Die genetische Disposition (anhand von Familienstudien) kristallisiert sich insbesondere bei der dissozialen - und  Borderline-Persönlichkeitsstörung heraus.

→B) Für spezifische Persönlichkeitsstörungen findet man ein Geschlechterverteilung:

1) Männer: Bei ihnen entwickelt sich eher eine dissoziale und die zwanghafte-Persönlichkeitsstörung.

2) Frauen: Sie zeigen häufiger die Borderline-Persönlichkeitsstörung auf. 

 C) Die häufigste Persönlichkeitsstörung ist die dependente, gefolgt von der dissozialen -, histrionischen PS und der Borderline-PS.

 D) Die Häufigkeit bei stationär psychiatrischen Patienten liegt bei 40-50%, bei forensischen bei 90%.

 

Komorbiditäten: Ca 2/3 der Patienten mit Persönlichkeitsstörungen weisen weitere psychische Erkrankungen auf. Zu diesen zählen u.a.:

→  I: Angststörungen,

→ II: Affektive Störungen,

→ III: Abhängigkeitserkrankungen sowie

→ IV: Die Essstörungen. Insbesondere bei Komorbiditäten manfestiert sich ein schwerer Krankheitsverlauf und der Therapieerfolg ist zumeist unbefriedigend.

 

Klassifikation: Nach DSM-IV werden die verschiedenen Persönlichkeitsstörungen nach ihrem Symptomcharakter in sogenannte Cluster unterteilt:

→ I: Cluster-A-Persönlichkeitsstörungen: Die Cluster A-Persönlichkeitsstörungen sind insbesondere durch sonderbares und exzentrisches Verhalten sowie charakteristische Kernsymmptome wie Distanziertheit, Misstrauen, aber auch verminderte emotionale Ausdrucksfähigkeit gekennzeichnet. Sie weisen eine Nähe zu den psychotischen Störungen auf und werden im besonderen Maße durch hereditäre bzw Faktoren induziert. Hierzu gehören v.a. die:

→ 1) Paranoide Persönlichkeitsstörungen,  

→ 2) Schizoide Persönlichkeitsstörung und die

→ 3) Schizotype Persönlichkeitsstörung (wird heutzutage zu den Störungen des schizophrenen Formenkreis gezählt).  

 II: Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen: Die Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen sind insbesondere durch extrovertierte, dramatische, emotionale oder launische Verhaltensweisen charakterisiert. Kernsymptome sond die Beeinträchtigungen in der Impuls- und Aggressionsregulation sowie eine Labilität im Affekt mit Fluktuationen der Stimmungslage. Es werden pathophysiologische Störungen im serotonergen und noradrenergen System diskutiert. Zu den Cluster-B-Störungen zählen:

→ 1) Narzisstische Persönlichkeitsstörung,

→ 2) Dissoziale Persönlichkeitsstörung und die

→ 3) Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung (insbesondere bei der Borderline-PS wird entwicklungspsychologisch eine schwere Traumatisierung angenommen). Alle Formen weisen ein erhöhtes Risiko für Suchterkrankungen auf. 

III: Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen: Die Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen ist durch eine klinische Symptomatik bestehend aus Ängstlichkeit, Furchtsamkeit, Gefahrenvermeidung und nicht zuletzt Verhaltenshemmung geprägt. Entwicklungspsychologisch besteht bei den Kindern und Jugendlichen eine hereditär bedingte, niedrige Angstschwelle mit einer ausgeprägten Tendenz zum Rückzug und konsekutiver Abhängigkeit von wichtigen Bezugspersonen. Zu diesem Cluster zählen: 

→ 1) Anankastische Persönlichkeitsstörung,

→ 2) Dependente Persönlichkeitsstörung und die

→ 3) Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung. Diese sind häufig mit somatoformen Störungen assoziiert.

616 Klassifikation der Persönlichkeitsstörungen nach DSM IV