Definition: Die histrionische Persönlichkeitsstörung ist durch ausgeprägte Emotionalität (= Dramatisierung) und Expressivität, einen impressionistischen Denkstil und den Wunsch nach Aufmerksamkeit gekennzeichnet. Die Betroffenen fordern ständig Bestätigung, Lob sowie Anerkennung ein und fühlen sich in dem Augenblick unwohl, wenn sie nicht mehr im Mittelpunkt stehen. Das äußerliche Erscheinungsbild ist durch übertrieben Attraktivität und Schönheit geprägt.

 

  Epidemiologie: Die histrionische Persönlichkeitsstörung gehört zu den häufigeren PS und weist eine Prävalenz von bis zu 3% in der Allgemeinbevölkerung auf. Die Diagnosestellung erfolgt bei Frauen öfters als beim männlichen Geschlecht.

 

Ätiologie: Bei der Genese dieser Persönlichkeitsstörung geht man von einem multifaktoriellen (genetische, neurobiologische Faktoren etc.) Geschehen aus.

→ I: Psychodynamische Sicht: Verursacht wird diese durch Fixierung in der ödipalen Phase (3.-6. Lebensjahr). Hierbei entstehen uneingestandene, libidinöse Wünsche gegenüber dem gegen-geschlechtlichen Elternteil und aggressive Regungen gegenüber dem gleichgeschlechtlichen Elternteil. Diese können später durch z.B. eine Trennung reaktiviert werden.

II: Sicht anderer Schulen: Die histrionische Persönlichkeitsstörung entwickelt sich aus dem Zusammenspiel der Primärpersönlichkeit (exzentrisch, lebhaft) und dem Erziehungsstil der Eltern (intermittierende Verstärkung gewollten Verhaltens und Mangel an negativen Konsequenzen bei unerwünschtem Verhalten).

 

Klinik: Patienten mit einer histrionischen Persönlichkeitsstörung weisen typischerweise eine Insuffizienz der Identität mit schwach ausgeprägtem Selbstwertgefühl auf (Geltungs- und Erlebnissucht stellen Kompensationsmechanismen dar).

→ I: Dramatisches, theatralisches Verhalten, Exzentrik und übertriebene Emotionalität.

II: Bedürfnis im Mittelpunkt zu stehen ("Mehr Schein als Sein"), bei gleichzeitig problematischen zwischenmenschlichen Beziehungen.

III: Gier nach Lob und Anerkennung.

→ IV: Pseudologia phantastica: (= Pathologisches Lügen) Bezeichnet den krankhaften Drang zum Lügen und Übertreiben.

V: Erhöhte Suggestibilität: Rasche Beeinflussbarkeit durch Andere, aber auch manipulatives Verhalten (zur Befriedigung eigener Bedürfnisse).

VI: Ausgeprägte Sensibilität, Verletzbarkeit und Kränkung durch die Umwelt.

→ VII: Unangemessenes verführerisches Verhalten mit übermäßigem Interesse an der eigenen körperlichen Attraktivität bei gleichzeitig unbefriedigendem sexuellem Erleben. 

→ VIII: Impressionistischer Denkstil: Zeichnet sich durch Sprunghaftigkeit des Denkens, aber auch durch Ungenauigkeit bzw. Unschärfe aus. 

 IX: Weitere Charakteristika: Sind distanzloses Verhalten, mangelnde Empathie, oberflächlicher labiler Affekt, Neigung zu psychosomatischen und konversionsneurotischen Symptomen (Schmerzsyndrome, Lähmungserscheinungen, psychogene Anfälle).

 

Komplikationen: Die Betroffenen weisen ein vermehrte Auftreten von Krisensituationen z.B. beim Verlust von Bezugspersonen und neigen nicht selten zur Suizidalität.

 

Komorbiditäten: Nicht selten ist die histrionische Persönlichkeitsstörungen mit weiteren psychischen Störungen vergesellschaftet; hierzu zählen u.a.:

→ I: Depressive Episoden,

→ II: Dissoziative Störungen, insbesondere Amnesie, Fugue und dissoziativer Stupor.

→ III: Des Weiteren ist die histrionischen PS zumeist mit narzisstischen -, dissozialen - und/oder die Borderline-PS kombiniert.

 

Diagnose: Zur Diagnosestellung der histrionischen Persönlichkeitsstörung nach ICD-10 müssen mindestens 4, der folgenden Kriterien zutreffen:

I: Dramatische Selbstdarstellung, theatrales Verhalten.

II: Erhöhte Suggestibilität mit leichter Beeinflussbarkeit durch Andere.

III: Oberflächlicher labiler Affekt.

IV: Ständige Suche nach neuen, aufregenden Erlebnissen.

V: Unangemessenes verführerisches Verhalten.

VI: Unangemessene Beschäftigung mit der äußeren Attraktivität.

571 Diagnosekriterien der histrionischen Persönlichkeitsstörung nach ICD 10

 

Differenzialdiagnose:

→ I: Gerade Menschen mit dependenter Persönlichkeitsstörung weisen bei Trennung Krisensituationen auf; jedoch versuchen sie, ihnen durch unterwürfiges Verhalten entgegenzuwirken.

 → II: Weitere Persönlichkeitsstörungen v.a. die narzisstische PS und die Borderline-Persönlichkeitsstörung

→ III: Manische Episode mit Euphorie, Affekt und Triebenthemmung, 

→ IV: Somatisierungsstörungen und nicht zuletzt die 

→ V: Dissoziative Störungen.

 

Therapie:

→ I: Psychotherapie:

→ 1) Psychodynamische Therapie: Im Mittelpunkt steht die Identifikation und Bearbeitung ödipaler Konflikte.

2) Kognitive Verhaltenstherapie: Die Verhaltenstherapie konzentriert sich auf die Modifikation des impressionistischen Denkstils und den Aufbau adäquater Kommunikationsstrategien durch Problemlöse- und Selbstinstruktionstraining; des Weiteren sind kognitive Therapiekonzepte zum Aufbau eines adäquaten und stabilen Selbstwertgefühls sowie Entspannungsübungen (z.B. progressive Muskelrelaxation nach Jacobson) indiziert. Ziel ist das Erreichen eines stabileren Selbstbewusstseins.

→ II: Medikamentöse Therapie: Bei komorbider Depression ist eine begleitende medikametöse Behandlung mit einem Antidepressivum vom SSRI-Typ indiziert.

 

→ Prognose:

→ I: Die histrionische Persönlichkeitsstörung hat unbehandelt die Neigung zur Chronifizierung.

→ II: Im höheren Lebensalter kommt es nicht selten zur Linderung der klinischen Symptomatik, gleichzeitig besteht jedoch auch ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Depressivität.