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- Kategorie: Angststörungen und Panikstörungen
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→ Definition:
→ I: Bei der generalisierten Angststörung handelt es sich um lang anhaltende, frei flottierende Ängste, die die meisten Tage der Woche, über mehrere Wochen bestehen und nicht an spezifische Situationen oder Objekte gekoppelt sind, sondern vielmehr alle alltäglichen Situationen (wie Arbeit, Finanzen, Familie, Gesundheit und die Zukunft) betreffen;
→ II: Charakteristischerweise besteht bei dieser Angststörung kein auslösender Stimulus sowie kein spezifisches Vermeidungsverhalten.
→ III: Die Sorgen und Ängste werden von den Betroffenen als berechtigt (Ich-sychron) angesehen.
→ Epidemiologie:
→ I: Die Lebensprävalenz liegt bei ca 5-6%, wobei Frauen deutlich häufiger als Männer betroffen sind.
→ II: Der Manifestationsgipfel liegt zwischen der 2.-3. Lebensdekade; die Erkrankungsbeginn erfolgt fast auschließlich einschleichend.
→ Klinik: Generell unterscheiden sich die Sorgen von Patienten mit generalsierter Angststörung nicht von denen gesunder Menschen, jedoch werden sie als unkontrollierbar empfunden und nehmen die meiste Zeit des Tages ein.
→ I: Leitsymptom ist die übertriebene und persistierende bzw. frei flottierende Angst und Besorgnis bezüglich allgemeiner Lebensumstände wie drohende zukünftige Ereignisse wie z.B. Unfälle, Krankheit und nicht zuletzt Geldsorgen. Die Ängste sind typischerweise situations- und objektungebunden. Betroffene zeigen überwiegend ein reduziertes Selbstvertrauen, mit Problemen zurechtzukommen. Hierbei muss die Angst über ein längeres Zeitintervall von mehreren Wochen (DSM-IV mindestens 6 Monate) bestehen und allenfalls nur in ihrer Intensität variieren.
→ II: Vegetative Symptome: Innere Unruhe, Schlafstörungen, motorische Muskelanspannung, Schweißausbruch, Tremor, Mundtrockenheit, Übelkeit, Diarrhoe, Beklemmungsgefühl, Atemnot.
→ III: Weitere Symptome: Sind diffuse Schmerzen, innere Unruhe, Nervosität, Kopfdruck, Schwindel, Unfähigkeit zur Entspannung, Hypervigilanz, Schlafstörungen (Insomnie mit Ein- und Durchschlafstörungen), aber auch Depersonalisations- und Derealisationsgefühl.
→ IV: Es handelt zumeist um einen schleichenden Beginn und chronisch-fluktuierenden Krankheitsverlauf.
→ Komorbiditäten: Die generalisierte Angst ist häufig mit weiteren psychischen Störungen vergesellschaftet, wie:
→ I: Weitere Angststörungen, gerade auch soziale Phobien bzw. spezifische Phobien,
→ II: Depression,
→ III: Suchterkrankungen,
→ IV: Manchmal auch Suizidalität.
→ Diagnose:
→ I: Nach umfangreicher Eigen-/Fremdanamnese und Ausschluss organisch bedingter Erkrankungen, wird die Diagnose der generalisierten Angst klinisch gestellt.
→ II: Stützend können testpsychologische Verfahren wie die Hamilton-Angstskala (HAMA), das Beck-Angst-Inventar, die Selbstbeurteilungs-Angstskala (SAS) etc. herangezogen werden.
→ III: Nach ICD-10 besteht eine generalisierte Angststörung, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
→ 1) Das wesentliche Symptom, die anhaltende generalisierte Angst, an den meisten Tagen in der Woche über mehrere Wochen besteht,
→ 2) Die Angst frei flottiert sowie
→ 3) Folgende Einzelsymptome wie z.B. innere Unruhe, Nervosität, Konzentrationsstörungen, Sorge um zukünftige Ereignisse, Mundtrockenheit, Tachykardie, etc. nachweisbar sind:
→ Differenzialdiagnose: Von der generalisierten Angststörung müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:
→ I: Organisch: Hyperthyreose bei z.B. Morbus Basedow, Schilddrüsenautonomie, Hyperparathyreoidismus, Hypoglykämie, Phäochromozytom, Morbus Cushing, etc.
→ II: Drogen-induziert:
→ 1) Amphetamine und Kokain,
→ 2) Halluzinogene,
→ 3) Cannabis,
→ III: Medikamentös-induziert: Wie Sympathomimetika, Bronchodilatatoren (z.B. ß-2-Sympathomimetika, Anticholinergika oder Theophyllin).
→ IV: Persönlichkeitsstörungen, vor allem die ängstlich-vermeidende PS.
→ V: Angstsymptome bei Depression und Schizophrenie.
→ VI: Abgrenzung der generalisierten Angststörung zur:
→ 1) Panikstörung: Sie tritt akut und episodisch auf, während die generalsierte Angststörung einen chronisch kontinuierlichen (bandförmigen) Verlauf aufweist (Panikstörungen).
→ 2) Zwangsstörung: Hier bestehen ängstliche Gedanken und Handlungen gegenüber spezifischen Situationen wie Verunreinigung, Ansteckung etc. (Zwangsstörungen).
→ Therapie:
→ I: Psychotherapeutisch:
→ 1) Aufklärung und Psychoedukation.
→ 2) Kognitive Verhaltenstherapie: Die kognitive Verhaltenstherapie geht davon aus, dass psychische Störungen Ausdruck verzerrter Gedanken und Vorstellungen (= dysfunktionale Kognitionen) sind, die sich infolge langjähriger Erfahrungen entwickelt haben. Dysfunktionale Kognitionen sind u.a.: Dichotomes Denken, Generalisierung, Katastrophendenken, etc. Ziel ist es, diese Annahmen zu identifizieren und neu zu benennen bzw. umzustrukturieren. Verfahrensstrategien hierbei sind:
→ A) Realitätsprüfung: Überprüfung der Überzeugungen und Kognitionen hinsichtlich ihres Realitätsgehaltes. Der Patient soll verschiedene Sichtweisen vermittelt bekommen und lernen, dass diese wiederum Einfluss auf die Gefühle haben.
→ B) Reattributierung: Die eigenen Erfahrungen werden einer logischen Analyse unterzogen.
→ C) Alternative Erklärungen: Suche nach anderen Sichtweisen und Schlussfolgerungen (= Kognitives Neubenennen).
→ D) Entkatastrophisieren: Überprüfen, ob bei Eintreten der Sorgen wirklich eine Katastrophe bestünde. Darstellung der eigenen Überreaktion und Aufbau einer differenzierteren Sicht zu möglichen Katastrophen (d.h. Katastrophe stellt nicht das Lebensende dar).
→ 3) Sorgenkonfrontation in Sensu: Es handelt sich um ein weiteres wichtiges Therapieverfahren bei der Behandlung der GAS. Es beruht auf der Hypothese, dass das Vorherrschen von gedanklichen Prozessen und der ständige Themenwechsel die Habitution (= Abnahme der Reaktionsbereitschaft durch repetitive Stimulusdarbietung) an die angstbesetzte Sorge verhindert.
→ A) Vorbereitung: Sammeln der Sorgenbereiche (Krankheit, Familie, Beruf) und Aufstellung einer Sorgen-Hierarchie.
→ B) Durchführung: Der Patient soll eine bestimmte Sorge zu Ende denken und sich den schlimmstmögliche Ausgang möglichst bildhaft vorstellen. Ziel ist es, die sich dabei entwickelnde Angst auszuhalten, bis sie sich im Rahmen der Habituation vermindert.
→ 4) Sorgenkonfrontation in vivo: Die Grundannahme hierbei ist, dass das Sicherheits- und Vermeidungsverhalten zwar die Angst kurzfristig reduziert, jedoch langfristig zur Aufrechterhaltung der Sorge führt. Ziel ist es das Sicherheits- und Vermeidungsverhalten abzubauen, indem die gefürchtete Situation vom Patienten gezielt aufgesucht oder hergestellt wird.
→ 5) Kognitive Therapie nach Wells: Siehe dort.
→ 6) Entspannungsverfahren: Bietet eine wesentliche Grundlage für weitere verhaltenstherapeutische Strategien. Man geht davon aus, dass der Zustand der Entspannung das Erleben von Angst ausschließt. Zu den Entspannungsverfahren gehören u.a.:
→ A) Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson,
→ B) Autogenes Training und
→ C) Biofeedback.
→ 7) Psychodynamische Therapie: Die tiefenpsychologisch orientierten Verfahren stellen Veränderungen des Selbstkonzeptes in den Vordergrund. Sie zielen auf eine Stärkung und Nachreifung der strukturellen Ich-Schwäche sowie auf die Aufarbeitung der Angstsymptomatik zugrunde liegenden Konflikte unter Miteinbeziehung biographisch-relevanter Aspekte ab.
→ II: Medikamentös:
→ 1) Mittel der 1. Wahl bei der Behandlung der generalisierten Angststörung sind die Antidepressiva aus der Gruppe der SSRI (Escitalopram 5-20mg/d, Paroxetin 20-40mg/d) und der SSNRI (Venlafaxin 150-225mg/d, Duloxetin 30-60mg/d).
→ 2) Anxiolytika: Angstlösende Substanzen stellen die Benzodiazepine dar, sie können in akuten Phasen von Angst vorübergehend appliziert werden; alternativ steht Buspiron zur Verfügung (15-30mg/d; die volle Wirksamkeit wird jedoch erst nach einigen Wochen erreicht).
→ 3) Beta-Blocker sind bei ausgeprägten vegetativen und kardiovaskulären Symptomen indiziert.
→ 4) Ein neueres Präparat in der medikamentösen Behandlung der GAS ist das Antikonvulsivum, Pegralabin, das einen sehr starken anxiolytischen Effekt aufweist und in einer Dosierung von 150-600mg/d verabreicht wird.
→ Klinisch-relevant: Bei Pegralabin handelt es sich um ein y-Aminobuttersäure-Analoga (GABA), welches durch die Bindung an eine Untereinheit der spannungsabhängigen Kalium-Kanäle die Ausschüttung von Noradrenalin, Glutamat ect. (= exzitatorische Neurotransmitter) verhindert.
→ Prognose:
→ I: Die GAS weist einen eher ungünstigen fluktuierenden Krankheitsverlauf auf mit der Gefahr der Chronifizierung und latenten Suizidalität. Die Erfolgsquote liegt auch bei adäquater Behandlung nur bei 20-30%.
→ II: Eine Komorbidität mit einer Depression und/oder Alkoholabhängigkeit verschlechtert die Prognose deutlich.
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→ Definition: Die soziale Phobie ist definiert als übersteigerte, irrationale und anhaltende Angst vor Situationen, in denen der Betroffene im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. In der sozialphobischen Situation entwickeln sich dann vegetative Symptome wie Unruhegefühl, Schwitzen, Erröten, Herzklopfen etc. Im weiteren Krankheitsverlauf manifestiert sich typischerweise ein Vermeidungsverhalten.
→ Epidemiologie:
→ I: Die Lebensprävalenz liegt bei ca. 5-10%, wobei Frauen etwas häufiger als Männer betroffen sind (F : M = 1,4 : 1).
→ II: Die soziale Phobie manifestiert sich meist in der Adoleszenz; es sind aber auch Entwicklungen vor dem 12. Lebensjahr beschrieben.
→ Klassifikation: Bei der sozialen Phobie unterscheidet man zwischen:
→ I: Isolierte soziale Phobie: Hierbei wird die Angst nur durch einen spezifischen Auslöser (Sprechen vor Publikum) getriggert, bezieht sich also nur auf eine einzelne soziale Situation.
→ II: Generalisierte soziale Phobie: Entsteht generell bei allen öffentlichen Interaktionen.
→ Klinik: Die soziale Phobie weist einen zumeist schleichenden Beginn auf; wichtige Symptome sind:
→ I: Leitsymptom ist die Angst vor Situationen, bei der der Patient unter der prüfenden Beobachtung bzw. Kritik anderer steht. Hierbei besteht die Befürchtung, sich durch ungeschicktes oder peinliches Verhalten zu blamieren oder Kritik zu erlangen. Charakteristisch für die soziale Phobie ist, das die Betroffenen oftmals ein sehr geringes Selbstwertgefühl aufweisen.
→ II: Im weiteren Krankheitsverlauf manifestiert sich ein Vermeidungsverhalten mit Tendenzen zur sozialen Isolation und konsekutiver Einschränkung im beruflichen Leben, in den Freizeitaktivitäten und der Beziehungsgestaltung.
→ III: Vegetative Symptome: Erröten, Zittern, Schweißausbruch, Übelkeit, Angst zu erbrechen, Miktions- und Defäkationsdrang. Die Symptome können das Ausmaß einer Panikattacke erreichen.
→ IV: Weitere Symptome: Sind u.a. Angst vor dem anderen Geschlecht, Angst zu Erröten (Erythrophobie). Die Patienten wissen, dass ihre Symptome übertrieben und irrational sind.
→ Komorbiditäten: Sie ist häufig mit weiteren psychischen Störungen vergesellschaftet. Hierzu zählen:
→ I: Weitere Angststörungen wie die Agoraphobie sowie spezifische Phobien.
→ II: Affektive Störungen insbesondere die Depression.
→ III: Alkoholabhängigkeit/-missbrauch sowie der Benzodiazepin-Missbrauch.
→ Diagnose:
→ I: Die Störung „ soziale Phobie“ wird klinisch gestellt und bedarf meist einer umfangreichen Eigen-/Fremdanamnese, da die Betroffenen diese aus Scham nicht erwähnen und sich meist aufgrund einer anderen komorbiden Störung (z.B. depressive Episode) vorstellen.
→ II: Nach ICD-10 besteht sie, wenn folgende Kriterien zutreffen:
→ 1) Die Störung zentriert sich um die Angst vor prüfender Beobachtung durch andere (nicht jedoch in großen Menschenmengen). Sie kann entweder klar begrenzt sein z.B. Essen oder Sprechen in der Öffentlichkeit, oder in jeder sozialen Situation hervorgerufen werden.
→ 2) Klassische klinische Beschwerden einer sozialen Phobie sind: Vermeiden von Blickkontakt, Erröten, Händezittern und/oder Harndrang.
→ 3) Assoziationen bestehen zu einem niedrigen Selbstwertgefühl.
→ Differenzialdiagnose: Von der sozialen Phobie müssen insbesonder nachfolgende psychische Störungen und Erkrankungen abzugrenzt werden:
→ I: Schizophrenie mit z.B. angstbesetzten Wahnideen.
→ II: Depression mit sozialem Rückzug,
→ III: Agoraphobie,
→ IV: Panikstörung,
→ V: Persönlichkeitsstörungen insbesondere vom ängstlich-vermeidenden Typ.
→ VI: Sekundäre soziale Phobie bei neurologischen Erkrankungen wie z.B. der Morbus Parkinson.
→ Therapie:
→ I: Verhaltenstherapie:
→ 1) Als wichtiger Bestandteil in der Behandlung der sozialen Phobien hat sich die kognitive-behaviorale Psychotherapie (Klassische Verhaltenstherapie / kognitive Verhaltenstherapie mit kognitiver Reattribuierung) etabliert.
→ 2) Ziele sind:
→ A) Die sozial-phobischen Verhaltensweisen und Kognitionen (dysfunktional) zu verändern bzw. umzustrukturieren,
→ B) Reduktion des Sicherheitsverhaltens: Identifikation des Sicherheitsverhaltens wie Arme verschränken, Blick senken etc. Anschließend erfolgt eine Unterbindung oder gezieltes Einsetzten der Sicherheitsstrategien.
→ C) Veränderung der Selbstaufmerksamkeit mit Reduktion der Selbstbeobachtung und hin zur Fokussierung der Außenwelt.
→ D) Bearbeitung des Selbstbildes: Hierbei spielen vor allem Verfahren wie Rollenspiele, Videofeedback und Training sozialer Kompetenz eine wichtige Rolle.
→ E: Expositionstherapie: Mit Exposition in sensu und in vivo.
→ II: Pharmakotherapie:
→ 1) Als Mittel der 1.Wahl haben sich in der Behandlung der sozialen Phobie die SSRI, das Escitalopram und das Paroxetin (Seroxat: 20-40mg) oder die SSNRI, das Venlafaxin, etabliert.
→ 2) Alternativ kann ein MAO-Hemmer, wie z.B. Moclobemid (Aurorix 400-600mg/d), appliziert werden.
→ 3) Vorübergehend, wegen der ausgeprägten Toleranzentwickung und Suchtgefahr, kann auch ein Benzodiazepin (Lorazepam: Tavor 1-2,5mg/d) verabreicht werden.
→ 4) Bei spezifischer Rede- und Prüfungsangst (= performance anxiety) bietet sich die Gabe eines Beta-Blockers an.
→ Prognose:
→ I: Unbehandelt weist die soziale Phobie einen chronischen, meist wellenförmigen Verlauf auf.
→ II: Nicht selten entwickeln sich in diesem Zusammenhang weitere psychische Störungen wie Suchterkrankungen, vor allem die Alkoholabhängigkeit, aber auch depressive Episoden.
→ III: Als prognostisch günstig gelten:
→ 1) Später Beginn,
→ 2) Hoher Bildungsgrad und
→ 3) Das Fehlen von Komorbiditäten.
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→ Definition:
→ I: Die Agoraphobie ist definiert als Angst vor öffentlichen, menschenüberfüllen Plätzen, räumlich begrenzten Orten und Situationen, bei denen eine eingeschränkte Möglichkeit zur Flucht besteht z.B. weite Plätze, Menschenansammlungen, aber auch Kaufhäuser, Theater, etc.
→ II: Charakteristisch für die Erkrankung ist das klassische Vermeidungsverhalten, sodass die Betroffenen die angstauslösende Situation entweder fluchtartig verlassen oder erst gar nicht besuchen.
→ Epidemiologie:
→ I: Die Agoraphobie zählt zu den Angst- und Panikstörung und tritt meist in der frühen Adoleszenz (zwischen dem 20.-30. Lebensjahr) auf.
→ II: Die Lebensprävalenz liegt bei 5-7%, wobei Frauen deutlich häufiger als Männer betroffen sind (F : M = 4 : 1).
→ Klinisch-relevant: Bei der Agoraphobie manifestiert sich nicht nur die Angst vor weiten Plätzen, sondern vielmehr bezieht sie sich auf alle Situationen, die außerhalb der gewohnten Umgebung bestehen. Hierzu gehören:
→ A) Menschenmengen in Bussen, Kaufhäusern, der U-Bahn oder im Fahrstuhl,
→ B) Reisen und unterschiedliche Aufenthalte, weit von zu Hause entfernt.
→ Klassifikation: Der Agoraphobie anhand des Fehlens oder Vorliegens einer Panikstörung:
→ I: Agoraphobie ohne Panikstörung: Hierbei bestehen Angst und panikartige Symptome, jedoch keine unerwarteten Panikattacken.
→ II: Agoraphobie mit Panikstörungen: Zusätzlich treten unerwartete Panikattacken auf.
→ Klinik:
→ I: Leitsymptom ist die übergroße Furcht vor Situationen wie Menschenmengen, öffentlichen Plätzen, menschenüberfüllten räumlich-begrenzten Orte (z.B. Kaufhäuser aber auch Busse und Bahnen) und deren Vermeidung.
→ II: Charakteristischerweise entwickeln die Betroffenen in den oben genannten Situationen zunächst meist Panikattacken, bevor sich ein agoraphobisches Vermeidungsverhalten einstellt. Es kann so ausgeprägt sein, dass die Betroffenen ans Haus oder eine Begleitperson gefesselt sind.
→ III: Im weiteren Krankheitsverlauf manifestiert sich soziale Isolation, Insuffizienzgefühl, Depressivität bzw. Depression, aber auch die Unfähigkeit, Alltagaufgaben zu erledigen.
→ IV: Vegetative Symptome: Sind Beklemmungsgefühl, Brustschmerz, Taubheitsgefühl, Mundtrockenheit, Schweißausbruch, feinschlägiger Tremor, Palpitationen, Tachykardie, Atembeschwerden und nicht zuletzt Übelkeit.
→ V: Psychische Symptome: Gefühl der Unsicherheit, Schwäche, Schwindel, Angst vor Kontrollverlust, Angst zu sterben, Gefühl der Derealisation (= Objekte sind unwirklich) und Depersonalisation.
→ VI: Nicht selten ist die Agoraphobie mit einer Panikstörung vergesellschaftet. Weilt z.B. ein Patient in einer angstauslösenden Situation und kann diese nicht schnell genug verlassen, entwickelt sich hierbei zumeist eine Panikattacke.
→ Klinisch-relevant: Ein klassisches Phänomen bei der Agoraphobie ist die antizipatorische Angst vor der Angst (= Phobophobie). Die Patienten beschreiben eine physische sowie psychische Anspannung bereits vor der Konfrontation, erwarten von vornherein eine Panikattacke und entwickeln ein Sicherheitsverhalten z.B. Mitführen eines Medikaments, Begleitung durch einen Angehörigen, Tragen einer Sonnenbrille sowie situatives Vermeidungsverhalten etc.
→ Komorbiditäten: Die Agoraphobie ist häufig mit weiteren psychische Störungen vergesellschaftet:
→ I: Suchterkrankungen und Substanzenmissbrauch,
→ II: Depression und
→ III: Weitere Angsterkrankungen wie die Panikattacken, generalisierte Angststörungen, soziale Phobien sowie sie spezifischen Phobien,
→ Diagnose:
→ I: Die Diagnose wird nach Ausschluss somatischer Erkrankungen klinisch gestellt.
→ II: Nach ICD-10 besteht eine Agoraphobie, wenn nachfolgende Kriterien zutreffen:
→ 1) Die Angst muss durch mindestens 2 der nachfolgenden Situationen ausgelöst werden:
→ A) In Menschenmengen,
→ B) Auf öffentlichen Plätzen,
→ C) Auf Reisen, die weit von zu Hause entfernt sind.
→ 2) Das Vermeiden der phobischen Situation ist oder war Leitsymptom.
→ 3) Die psychischen und physischen Symptome werden alleinig durch die Angst hervorgerufen und sind nicht Ursache eines Wahn- oder Zwangsgedankens.
→ III: Das DSM-IV geht davon aus, dass einer Agoraphobie Panikattacken vorausgehen und verwendet deshalb die Klassifikation Panikstörungen mit/ohne Agoraphobie (im Gegensatz zum ICD-10: Agoraphobie mit/ohne Panikattacken).
→ Differenzialdiagnose: Es bestehen verschiedene psychische und somatische Erkrankungen, die Angstsymptome auslösen:
→ I: Endokrine: Hyperthyreose z.B beim Morbus Basedow, Hypo-/Hyperparathyreoidismus, Phäochomozytom, Morbus Cushing etc.
→ II: Metabolisch: Hypokaliämie, Hypoglykämie (Diabetes mellitus)
→ III: Kardial: Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen, Mitralklappenprolaps,
Myokardinfarkt.
→ IV: Pulmonal: Asthmaanfall, COPD, Lungenembolie,
→ V: Zerebral: Epilepsie, demenzielle Erkrankungen (z.B. Alzheimer-Krankheit, Lewy-Body-Demenz, vaskuläre Demenz etc.), MS, Morbus Parkinson.
→ VI: Substanzen-abhängige Störungen:
→ 1) Alkoholabhängigkeit,
→ 2) Amphetamine,
→ 3) Halluzinogene,
→ 4) Opiate und
→ 5) Weitere Medikamente.
→ VII: Nichtorganische psychische Störungen: Hierzu zählen:
→ 1) Schizophrene Psychosen,
→ 2) Affektive Störungen, insbesondere die Depression.
→ 3) Persönlichkeitsstörungen,
→ 4) Anpassungsstörungen etc.
→ Therapie: Bei der Behandlung der phobischen Syndrome spielt die kognitive Verhaltenstherapie mit dem zentralen Element der Exposition eine besonders wichtige Rolle. Ein weiterer Aspekt ist die Modifikation dysfunktionaler Kognitionen.
→ I: Reizkonfronation/Expositionsverfahren:
→ 1) Voraussetzungen: Für die Therapie-Durchführung sind eine gute Patienten-Therapeuten-Beziehung durch Vertrauen, Empathie und Transparenz, die Psychoedukation mit ausführlicher Aufklärung über die Diagnose sowie die Darstellung verschiedener Behandlungsoptionen von großer Bedeutung.
→ 2) Erarbeitung eines Störungsmodell, das u.a. auch die aufrechterhaltenden Bedingungen der Störung (= Funktionalität) miteinbezieht.
→ 3) Ziel: Der Behandlung ist, das Phobie-typische Verhalten mittel-/langfristig durch erfolgreiche Strategien zu ersetzten.
→ 4) Durchführung: Hierbei haben sich vor allem folgende verhaltenstherapeutische Verfahren etabliert:
→ A) Systemische Desensibilisierung,
→ B) Expositionstherapie.: Hierbei werde die Patienten erst in Begleitung, später allein mit der angstauslösenden Situation konfrontiert. Das Prinzip beruht auf der Habituation und kann auf zweierlei Weisen erfolgen:
→ C) Unterstützend kann eine Entspannungstherapie (z.B. Autogenes Training, progressive Muskelrelaxation) indiziert sein.
→ II: Psychodynamische Therapie: Bei der tiefenpsychologischen, konfiktaufdeckenden Behandlung liegt der Fokus in der individuellen Eruierung und anschließenden Bearbeitung der Angst zugrundeliegenden unbewussenten und/oder bewussten Konflikte wie z.B. Verlustängste, Bindungsstörungen, etc. Wichtig hierbei ist u.a. die Exploration der zu den Ängsten gehörenden Erinnerungen, Assoziationen und unbewussen Phantasien. Bevor dies jedoch erfolgen kann, muss der Patient durch entsprechende Verfahren stabilisiert werden.
→ III: Medikamentöse Therapie:
→ 1) Diese erfolgt zumeist, wenn:
→ A) Der Patient keine psychotherapeutische Behandlung wünscht oder
→ B) Chronifizierte Symptome bestehen, die auf psychotherapeutische Maßnahmen nicht ansprechen.
→ 2) Sie beinhaltet vor allem den Einsatz von Antidepressiva. Mittel der 1. Wahl sind zum einen die Substanzengruppe der SSRI (vor allem Citalopram, Escitalopram und Paroxetin), sowie das Venlafaxin, aus der Gruppe der SSNRI. Seltener kommen trizyklische Antidepressiva wie Imipramin oder Clomipramin in Betracht. Die mittleren Tagesdosen entsprechen denen der Depressionsbehandlung.
→ Klinisch-relevant: Gerade zu Beginn einer medikamentösen Phobie-Therapie kann es zur Verstärkung der Angstsymptome kommen, hervorgerufen durch die Substanz-Nebenwirkungen (wie Innere Unruhe, Zittern, Schlafstörungen, etc.). Der therapeutische Effekt setzt erst nach 2-4 Wochen ein, sodass mit einer niedrige Initialdosis begonnen und schleichend aufdosiert werden sollte, um das Risiko eines Behandlungsabbruchs zu minimieren.
→ 3) Benzodiazepine: Wie Lorazepam (1-2,5mg) können als Akutmedikation verabreicht werden (siehe auch Panikattacken).
→ Klinisch-relevant: FolgendeTherapieoptionen der Agoraphobie bestehen:
→ I: 1. Wahl: Kognitive Verhaltenstherapie (z.B. nach A.T. Beck) als Monotherapie,
→ II: 2. Wahl: Kognitive Verhaltenstherapie kombiniert mit einem SSRI.
→ III: 3.Wahl: SSRI als reine Monotherapie. Nachteil hierbei ist, dass keine aktiven Bewältigungsstrategien erlernt werden und nach Absetzten des Medikaments das Rückfallrisiko deutlich erhöht ist.
→ Prognose: Ohne adäquate Behandlung verläuft die Agoraphobie analog zur Panikstörung meist chronisch fluktuierend mit z.T. symptomfreien Intervallen.
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→ Definition: Die Panikstörung bzw. Panikattacke ist definiert als repetitiv auftretender, anfallsartiger Angstzustand, der nicht durch spezifische Situationen, Umgebungen oder Objekte getriggert wird und von vegetativen Symptomen wie Herzrasen, Hitzewallungen, Beklemmungsgefühl, thorakale Schmerzen, Atemnot, abdominelle Beschwerden, etc. begleitet wird. Sie zählt zu den Angststörungen und nicht selten entwickelt sich sekundär sich die Furcht zu sterben oder wahnsinnig zu werden.
→ Epidemiologie:
→ I: Die Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung liegt bei 2-3%, bei Verwandten 1.Grades sogar bei bis zu 20%.
→ II: Frauen sind 2-3 mal häufiger betroffen als Männer; Die Panikstörung tritt insbesondere im jungen Erwachsenenalter (2.-3. Lebensdekade) auf und ist zumeist mit spezifischen belastenden Lebensumständen assoziiert.
→ Klinik: Nach ICD-10 ist eine Panikstörung durch das plötzliche, sich wiederholende Auftreten von zeitlich begrenzten (meist 10-30min) Angstepisoden ohne spezifische Ursache charakterisiert. Klassische Symptome sind:
→ I: Psychisch:
→ 1) Minutenlange (meist 10-30min, evtl. jedoch auch Stunden), panikartige, intensive und spontane Angstzustände mit unkontrollierbarer Intensität.
→ 2) Während der Attacke besteht das Gefühl bzw. die Angst, verrückt zu werden bzw. zu sterben.
→ 3) Meist vorherige Befürchtung, bei einer Angstattacke keine ausreichende Hilfe zu erlangen.
→ 4) Im weiteren Krankheitsverlauf manifestiert sich häufig ein zunehmendes, phobisches Vermeidungsverhalten mit konsekutiver Erwartungsangst (Angst vor der Angst = Phobophobie), evtl. Agoraphobie und sozialer Isolation
→ II: Begleitsymptome: Innere Unruhe, Anspannung, Ohnmachtsgefühl sowie Depersonalisation und Derealisation.
→ III: Vegetativ:
→ 1) Schweißausbruch, Palpitationen, Tachykardie, Thoraxschmerzen, Tachypnoe bis hin zu Hyperventilationstetanie,
→ 2) Mundtrockenheit, Übelkeit, Diarrhoe, Harndrang, evtl. Obstipation.
→ 3) Tremor, Parästhesien, Hautblässe, Schwindel, Schmerzen, etc.
→ Klinisch-relevant:
→ A) Die Panikattacke dauert unterschiedlich lang, in der Mitte ca. 30min, kann aber auch mehrere Stunden anhalten. Das Angstmaximum wird innerhalb von wenigen Minuten erreicht.
→ B) Bei einigen Panikattacken steht die Herz-Symptomatik im Vordergrund (früher als Herzphobie bezeichnet). Sie ist charakterisiert durch das anfallsartige Auftreten von kardialen Symptomen wie Schweißausbruch, Blutdruckanstieg und thorakale Schmerzen ohne pathologisch kardialen Befund. Diese Form betrifft vorwiegend Männer im mittleren Lebensalter, ausgelöst durch z.B. eine Herzerkrankung im unmittelbaren sozialen Umfeld.
→ Komorbiditäten: Die Panikattacken sind häufig vergesellschaftet mit:
→ I: Weiteren Angststörungen, wie generalisierte Angststörung, soziale Phobien oder spezifische Phobien.
→ II: Depression,
→ III: Alkoholabhängigkeit und anderen Suchterkrankungen.
→ IV: In bis zu 50% manifestiert sich eine gleichzeitige Agoraphobie.
→ Diagnose:
→ I: Die Diagnose der Panikattacken wird klinisch mit Hilfe einer umfangreichen Eigen- und Fremdanamnese gestellt.
→ II: Testpsychologische Verfahren: Zur Diagnosestellung werden ergänzend testpsychologische Verfahren wie die Hamilton-Angstskala (HAMA), die Selbstbeurteilungsskala (SAS) oder die Panik und Agoraphobie Skala (PAS), Beck-Angst-Inventar (BAI), etc. angewandt.
→ III: Nach ICD-10 besteht eine Panikattacke, wenn:
→ 1) Schwere Angstattacken, die ohne eine spezifische Situation entstehen und somit nicht vorhersehbar sind.
→ 2) Sie kann in ihrer Symptomatik individuell variieren, jedoch ist allen ein akuter Beginn mit Schwindel, Palpitation, Herzrasen, Thoraxschmerzen etc. gemeinsam.
→ 3) Sekundär entwickelt sich eine Angst vor Kontrollverlust, Angst wahnsinnig zu werden und die Furcht, zu sterben.
→ 4) Zwischen den Angstattacken müssen symptomfreie Intervalle bestehen.
→ 5) Zeitkriterium: Es müssen mehrere schwere Angstanfälle pro Monat eruierbar sein.
→ Differenzialdiagnose: Hiervon abzugrenzen sind sowohl weitere psychische Störungen als auch internistische Krankheitsbilder:
→ I: Metabolisch-endokrin: Wie Hyperthyreose (z.B. bei Morbus Basedow), Phäochromozytom, Hypoglykämie, etc.
→ II Karidal: Hypertensive Krisen, KHK, Myokardinfarkt.
→ III: Pulmonal: Asthma bronchiale, COPD, Lungenembolie, etc.
→ IV: Psychische Störungen:
→ 1) Agitierte Depression,
→ 2) Somatoforme Störungen
→ 3) Persönlichkeitsstörungen insbesondere die ängstlich-vermeidende PS.
→ 4) Weitere Angststörungen wie u.a.
→ A) Spezifische Phobien: Hierbei stehen die Angstattacken in direktem Zusammenhang mit einer auslösenden Situation.
→ B) Generalisierte Angst: Zukünftige Ängste und Gefahren stehen im Vordergrund.
→ 5) Drogenmissbrauch: Einnahme von Cannabis, Kokain und andere Stimulanzien, evtl. Drogen induzierte Psychose.
→ 6) Prodromalstadium einer Schizophrenie.
→ Therapie: Je nach Leidensdruck und Schweregrad der Panikstörung umfasst die Behandlung psychotherapeutische oder medikamentöse Interventionen oder deren Kombination.
→ I: Psychotherapeutische Therapie:
→ 1) Aufbau einer vertrauensvollen, empathischen Patienten-Therapeuten-Beziehung. Initial steht die Aufklärung des Patienten, dass jene psychophysiologischen Körpersymptome eine Angstreaktion darstellen und keine Gefahr beinhalten, im Vordergrund. Dies erfolgt über die Psychoedukation bzw. die Erarbeitung eines Störungsmodells. Des Weiteren sollte eine Aufstellung der eigenen Befürchtungen, des individuellen Sicherheitsverhaltens (z.B. nicht alleine aus dem Haus gehen) und der Katastrophenphantasien erfolgen.
→ 2) Bei der Panikstörung hat sich insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie mit der Fokussierung auf Expositionstherapie/Konfrontation- (als gestufte Exposition in vivo) sowie die kognitive Umstrukturierung dysfunktionaler Gedanken und Schemata etabliert.
→ 3) Weitere Therapieverfahren: Sind
→ A) Entspannungsübungen und Atemkontrolle.
→ B) Autogenes Training und progressive Muskelrelaxation nach Jacobson.
→ II: Medikamentöse Therapie:
→ 1) Im akuten Anfall ist ein "Talking-down", die Gabe eines Benzodiazepins (z.B. Lorazepam 1,5-2,5mg oder Alprazolam 2-4mg/d) zur sofortigen Symptomreduktion, sowie die Applikation eines ß-Blockers (z.B. Metoprolol oder Propanolol) bei vegetativ-betonter Klinik indiziert.
→ 2) Für die Dauerbehandlung der Panikstörungen haben sich insbesondere Antidepressiva vom serotonergen Typ, wie die SSRI (z.B. Fluoxetin 20-40mg/d, Paroxetin 20-40mg/d, Citalopram 20-60mg/d), die SSNRI (z.B. Venlafaxin 75-300mg/d), aber auch trizyklischen Antidepressiva z.B. Imipramin 75-250mg/d, Clomipramin) durchgesetzt. Die Antidepressiva müssen langsam und vorsichtig eindosiert werden, um das Spektrum der Nebenwirkungen initial gering zu halten. Eine erste Dosiserhöhung sollte nach 5-7 Tagen erfolgen. In den ersten Tagen der medikamentösen Therapie kann es zur Zunahme der Angstsymptomatik kommen, sodass der Patient frühzeitig intensiv aufgeklärt werden muss, um eine Fehlinterpretation im Sinne einer Verschlechterung der Grunderkrankung zu vermeiden.
→ III: Therapiedauer: Bei frühem Behandlungsbeginn wird die medikamentöse Therapie zunächst für mindestens 6 Monate angesetzt; zumeist jedoch dauert sie über Monate bis Jahre an.
→ Klinisch-relevant:
→ A) Die Kombinationstherapie aus Psycho- und Pharmakotherapie stellt das Mittel der 1.Wahl bei der Panikstörung dar.
→ B) Benzodiazepine sind jedoch wegen ihrer großen Benzodiazepinabhängigkeit nur kurzfristig einzusetzen.
→ Prognose: Die Panikstörung neigt bei inadäquater oder fehlender Behandlung zur Chronifizierung. Nicht selten bildet sich sekundär eine Alkoholabhängigkeit und/oder ein Medikamentenmissbrauch (in bis zu 50% der Fälle) aus.
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- Geschrieben von: CF
- Kategorie: Angststörungen und Panikstörungen
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→ Definition:
→ I: Bei den Angst- und Panikstörungen handelt es sich um eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, die durch eine ausgeprägte Angstreaktion bei gleichzeitigem Fehlen von akuten Bedrohungen gekennzeichnet sind.
→ II: Folgen sind physische und psychische Symptome sowie eine massive soziale und berufliche Einschränkung.
→ Klinisch-relevant:
→ A) Charakteristischerweise sind die Angstsymptome keiner realen Gefahr zuzuschreiben; vielmehr manifestieren sie sich ungerichtet, unbestimmt und ohne situativen Auslöser.
→ B) Die pathologische Angst unterscheidet sich von der physiologischen Angst durch:
→ 1) Das plötzliche, grundlose Auftreten (ohne Verhältnismäßigkeit zum auslösenden Ereignis),
→ 2) Die Intensität und
→ 3) Den zeitlichen Verlauf.
→ Epidemiologie:
→ I: Die Angst- und Panikstörungen gehören neben den unipolaren affektiven Störungen (insbesondere der Depression) und der Substanzabhängigkeit zu den häufigsten psychischen Störungen. Die Lebensprävalenz, an einer Angststörung zu erkranken, liegt bei 15-20% (Punktprävalenz bei 7%), wobei Frauen doppelt so häufig wie Männer betroffen sind.
→ II: Unter den Angststörungen tritt die isolierte Phobie am häufigsten auf; sie hat im klinischen Alltag jedoch fast keine Bedeutung. Die Lebensprävalenz für Panikstörungen liegt bei 4% und für soziale Phobien bei 3%.
→ Ätiopathogenese: Bei der Angst- und Panikstörung handelt es sich um eine multifaktorielle Genese, bei der insbesondere genetische, neurobiologische und psychosoziale Faktoren eine wichtige Rolle spielen.
→ I: Genetische Faktoren: Eine genetische Disposition wird diskutiert; So weisen eineiige Zwillinge im Vergleich zu zweieiigen - eine 2-3-fach erhöhte Konkordanzrate für die Entwicklung von Panikstörungen auf. Auch Verwandte 1. Grades von Patienten mit einer Panikstörung haben ebenfalls ein 2-3 fach erhöhtes Risiko.
→ II: Neurobiologische Faktoren:
→ 1) Eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung von Angst- und Panikstörungen ist die Dysfunktionalität des Angstnetzwerkes (sertotonerge und noradrenerge Kerngebiete). Hierbei stehen insbesondere das limbische System mit Amygdala und Hippocampus, der Locus coeruleus (= Ursprungsort noradrenerger Neurone), die Raphekerne (= Ursprungsort serotonerger Neurone) sowie die präfrontale Kortex eine wichtige Rolle. Neuere Studien postulieren, dass die Angsterkrankung möglicherweise eine Folge reduzierter Hemmung der Amygdala durch die präfrontale Kortex ist.
→ 2) Neurobiochemisch: Zudem besteht ein Ungleichgewicht auf der Ebene der Neurotransmitter. Insbesondere das serotonerge, GABA-erge (y-Aminobuttersäure ist der wichtigste inhibitorische Neurotransmitter des ZNS) aber auch das noradrenerge-System sind betroffen.
→ Klinisch-relevant: Diese These wird durch die Wirksamkeit der SSRI in der Behandlung der Angststörungen gestützt.
→ 3) Zudem belegen neuere Studien eine weitere Beeinflussung des Organismus durch die Stresshormone wie CRF, ACTH und Cortisol.
→ 4) Somatische Faktoren: Insbesondere Störungen im Bereich der Schilddrüse und der Nebenniere (z.B. Hyperthyreose, Phäochromozytom, aber auch Diabetes mellitus, etc.) können sich ungünstig auf die Entwicklung der Angststörung auswirken.
→ III: Lerntheoretische Faktoren: Hierbei stehen sowohl das Lernen am Modell (z.B. Ängste der Eltern), als auch Konditionierungsprozesse für die Genese der Angst- und Panikstörung im Vordergrund. So hat sich das 2-Faktoren-Modell nach Mowrer etabliert, bei der die Ängste:
→ 1) Durch klassisches Konditionieren erworben und
→ 2) Durch operante Konditionierung aufrechterhalten werden.
→ Klinisch-relevant:
→ A) Auch das gleichzeitige Vorhandensein von psychischen und somatischen Sensationen kann zu einer gegenseitigen Verstärkung führen. Die Beziehung kann mit Hilfe des Angstkreises erklärt werden.
→ B) Die im Zuge der Angst wahrgenommenen somatischen Sensationen werden im Sinne der kognitiven Fehlattribution als "Gefahr/Bedrohung" fehlinterpretiert und verstärken nochmals das Angstgefühl. Es entsteht ein Circulus vitiosus, der im weiteren Krankheitsverlauf zu einer Phobophobie führt.
→ IV: Psychodynamische Faktoren:
→ 1) Die Angst hat in der Psychoanalyse eine zentrale Bedeutung. Grundlage hierfür ist, dass konflikthafte Bestrebungen (intrapersonell) zur Aufrechterhaltung des psychischen Gleichgewichtes durch einen Kompromiss versöhnt werden. Misslingt die Konfliktlösung entsteht eine manifeste Angst.
→ 2) Des Weitere fehlt bei Patienten mit Angststörungen die Entwicklung einer stabilen Ich-Fähigkeit, sodass Konflikte als überfordernd empfunden werden, und die Betroffenen infantile Ängste reaktivieren. Insbesondere wenn Ich-unterstützende-Mechanismen wie z.B. der Verlust einer Bezugsperson oder der sozialen Anerkennung wegfallen, kann eine akute Angst hervorgerufen werden (ist vor allem bei der Entstehung der generalisierten Angst von Bedeutung).
→ 3) Bei der Entwicklung von Phobien (z.B. isolierte Phobien, Agoraphobie etc.) spielen vielmehr die Abwehrmechanismen, Projektion und Verschiebung, zur Lösung von konflikthaltigen Bestrebungen eine wichtige Rolle. So werden intrapsychische Konflikte wie z.B. sexuelle Phantasien auf bestimmte Objekte und Situationen verschoben bzw. projiziert.
→ Klassifikation: Die Angst- und Panikstörungen werden nach ICD-10 unterteilt in:
→ Diagnose: Von besonderer Bedeutung ist bei der Diagnostik der Angststörungen die sorgfältige somatische Untersuchung, da körperliche Erkrankungen ausgeprägte Angstzustände hervorrufen können. Zusätzlich ist die Erfassung von psychiatrischen Komorbiditäten für den ganzheitlichen Behandlungsplan obligat. Mögliche und relevante Begleiterkrankungen bei den Angststörungen sind inbesondere:
→ I: Unipolare affektive Störungen vor allem die unipolare depressive Episode sowie die rezidivierenden depressiven Störungen.
→ II: Substanzabhängigkeit, die sich zumeist sekundär im Krankheitsverlauf der Angststörung entwickelt.
→ III: Zwangsstörungen, aber auch die Bulimia nervosa und die Binge-Eating-Störung und nicht zuletzt die
→ IV: Persönlickeitsstörungen, insbesondere die histrionische, ängstlich-vermeidende, anankastische und die Borderline-Persönlichkeitsstörung.
→ Differenzialdiagnose: Von den Angststörungen müssen eine Fülle von exogenen Faktoren, somatischen Erkrankungen und psychischen Störungen abgegrenzt werden; hierzu zählen u.a.:
→ I: Psychotrope Substanzen: Atypische Rauschzustände nach Konsum von Cannabis, Kokain, Amphetamin, Entzugsymptomatik durch Alkohol, Benzodiazepine und Opiate, Horrortrips nach Konsum von LSD und weiteren Halluzinogenen.
→ II: Arzneimittel: Wie Schilddrüsenpräparate (z.B. L-Thyroxin), Bronchospasmolytika, Theophyllin, ß-Sympathomimetika, Dopaminergika, Kalziumantagonisten, SSRI zu Therapiebeginn, Betablocker insbesondere bei abrupten Absetzten.
→ III: Organische Erkrankungen: Insbesondere Myokardinfarkt, Angina pectoris, Lungenembolie, Pneumothorax, Morbus Cushing, Phäochromozytom, Karzinoid-Syndrom etc.
→ IV: Schizophrenie, schizoaffektive Störungen und akut vorübergehende psychotische Störungen.
→ V: Unipolare affektive Störungen vor allem die unipolare depressive Episode sowie die rezidivierenden depressiven Störungen, aber auch das chronische Erschöpfungssyndrom.