Definition: Bei der nicht-organischen Insomnie handelt es sich um eine anhaltende Schlafstörung mit einer ungenügend empfundenen Schlafdauer und/oder Schlafqualität sowie einer unverhältnismäßigen Sorge über negative Folgen. Charakteristischerweise liegt keine substanzbedingte -, somatische - oder psychische Störung als Ursache vor.

685 Diagnosekriterien der nichtorganischen Schlafstörung nach ICD 10 

 

Epidemiologie:

→ I: Die Insomnie stellt die häufigste Schlafstörung dar (10% der westlichen Bevölkerung ist betroffen), zur ihr zählen u.a. die Einschlaf-, Durchschlaf- sowie die Aufwachstörung (Früherwachen).

→ II: Das Erkrankungsrisiko nimmt mit dem Alter zu und ist zudem direkt mit dem (niedrigen) sozioökonomischen Status vergesellschaftet.

III: Frauen sind deutlich häufiger als Männer betroffen.

 

Ätiologie:

→ I: Bei der primären (nichtorganischen) Insomnie geht man davon aus, das ein hohes emotionales, kognitives und physiologisches Energieniveau zu einer erhöhten Aktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse mit konsekutiv gesteigerten Kortisol-Ausschüttung führt. Die Betroffenen klagen überwiegend über ein Unvermögen, abschalten zu können; klinisches Korrelat sind hohe Anteile an schnellen EEG-Frequenzen. In diesem Zusammenhang kommt es aufgrund von schlafbehindernden Gedanken, Grübeln, Ärger, etc. zu einer zunehmenden Fokussierung auf die Schlafstörung. Dies wiederum verstärkt die Angespanntheit des Betroffenen und trägt zur Aufrechterhaltung der Schlafstörung bei (= Hyperarousal-Konzept). Nicht selten haben die Patienten eine Fehlwahrnehmung ihres Schlafes, indem sie nächtliche Wachzeiten über- und die eigentliche Schlafdauer unterschätzen.

II: Risikofaktoren: Weitere mögliche Tiggermechanismen für die Entwicklung einer Insomnie sind u.a.:

1) Chronischer Stress, generelle Grübelneigung.

2) Aktuelle Konfliktsituationen.

→ 3) Inaktiver Lebensstil,

→ 4) Unregelmäßiger Schlafrhythmus durch z.B. Schichtarbeit, störende Umweltfaktoren, Veranlagung, etc.

680 Ätiopathogenese der nichtorganischen Insomnie

 

Klinisch-relevant: Zu starke Selbstbeobachtung, Ärger über die Schlafstörung und nicht zuletzt die Erwartung negativer Folgen des Schlafdefizits erhöhen die konstitutionelle Übererregbarkeit des autonomen Nervensystem (= Hyperarousal).

 

Klassifikation: Bei der nichtorganischen primären Insomnie können weitere Subtypen unterschieden werden; hierzu zählen u.a.:

681 Subtypen der nicht organischen Insomnie

 

Klinik: Leitsymptome der nichtorganischen Insomnie gehören erhöhtes Aktivitäts- bzw. Erregungsniveau sowie schlafbehindernde Gedanken (wie Grübeln, Erwartung von negativen Folgen des Schlafdefizits, etc.). Weitere klinische Beschwerden sind insbesondere:

→ I: Als oberflächlich erlebter, wenig erholsamer Schlaf (z.T. trotz normaler Schlafdauer).

II: Tagsüber Beeinträchtigung der eigenen Befindlichkeit und Leistungsfähigkeit mit:

→ 1) Physischen Beschwerden wie Muskelschmerzen und Müdigkeit und

→ 2) Psychischen Symptomen wie Konzentrationsstörungen und depressiver Verstimmung.

→ III: Einschlafstörungen: Verlängerte Schlaflatenz (> 30min.) zumeist assoziiert mit Grübeln, schlafbezogen negativen Kognitionen sowie vegetativen Symptomen.

→ IV: Durchschlafstörungen: Vermehrtes Aufwachen nach dem ersten Einschlafen und anschließendem längerem Wachliegen mit konsekutiver unzureichender Schlafeffizienz.

V: Aufwachstörungen: Frühmorgendliches Erwachen und kein erneutes Einschlafen trotz extremer Müdigkeit wird unter den Begriff der Insomnie zusammengefasst.

→ VI: Die Insomnie kann bezüglich ihrer Symptomintensität in verschiedene Schweregrade unterteilt werden:

682 Schweregrad der nichtorganischen Insomnie

 

Komorbiditäten: Patienten mit Insomnie weisen ein deutlich erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer depressiven Störung auf. Zudem sind sie vermehrt mit Abhängigkeitserkrankungen wie Alkohol- und Medikamentenmissbrauch vergesellschaftet.

 

Diagnose:

→ I: Anamnese/klinische Untersuchung:

→ 1) Im Mittelpunkt der Diagnosestellung der nichtorganischen Insomnie steht die umfangreiche Eigenanamnese (Fremdanamnese z.B. Parnter) und die Exploration der Schlafgewohnheiten sowie der Ausschluss von somatischen Erkrankungen (durch Routinelabor, EKG, EEG, etc.) oder medikamenteninduziert.

→ 2) Die schlafbezogene Anamnese umfasst insbesondere:

683 Erfassung wichtiger Aspekte bei der schlafbezogenen Exploration

3) Auch das Führen eines „Schlaftagesbuchs“ hat sich bei den Betroffenen bewährt. Es sollte mindestens über ein Zeitintervall von 10 Tagen geführt werden und umfasst nachfolgende Fragestellungen:

II: Insbesondere bei chronischen und schweren Schlafstörungen ist eine Vorstellung in einer Schlafambulanz bzw. -labor obligat, um die Struktur und den Ablauf des Schlafes z.B. mittels polysomnographischer Untersuchung zu objektivieren.

→ III: Des Weiteren stehen neuropsychologische Testverfahren wie z.B. der Multipler-Schlaflatenz-Test, etc. zur Verfügung.

 

Differenzialdiagnose: Von der nichtorganischen Insomnie müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:

→ I: COPD und Asthma bronchiale.

II: Herzrhythmusstörungen wie z.B. Vorhofflimmern, etc.

→ III: Hormonelle Störungen wie die Hyperthyreose.

→ IV: Schmerzsyndrome.

→ V: Depression.

→ VI: Medikamenteninduziert: Aufgrund von z.B. Theophyllin, einigen Hypertensiva wie Beta-Blockern, Hormonpräparaten wie L-Thyroxin und Glukokortikoiden, Antiparkinsonmitteln (L-Dopa und Dopamin-Antagonisten), Nootropika (Piracetam), antriebssteigernden Antidepressiva, aber auch Stimulanzien, Alkohol, Koffein, etc.

 

Therapie: Im Mittelpunkt der Behandlung der Insomnie steht die Psychotherapie, evtl. kombiniert mit einer supportiven Pharmakotherapie.

706 Nicht medikamentöse Therapieoptionen bei den Schlafstörungen

I: Psychotherapie: Die psychotherapeutischen Interventionen beinhalten:

→ 1) Psychoedukation unter Miteinbeziehung schlafhygienischer Maßnahmen wie Führen eines Schlaftagebuchs sowie das Erlernen von Entspannungsverfahren (autogenes Training, progressive Muskelrelaxation).

684 Wichtige schlafhygienische Interventionen

2) Stimuluskontrolle, Strukturierung der zirkardianen Rhythmik und Schlafrestriktionstherapie (hierbei wird die Schlafzeit bzw. die Zeit, die im Bett verbracht wird, massiv auf 5-6 Stunden beschränkt).

→ 3) Bei der kognitiven verhaltenstherapeutischen Behandlung werden u.a. dysfunktionale Kognitionen des Schlafes bearbeitet, paradoxe Interventionen (Aufforderung des Patienten, möglichst lange wach zu bleiben), Ablenkung und nicht zuletzt Techniken zur Reduktion des Grübelns angewandt.

→ II: Pharmakotherapie: Sie wird fast ausschließlich nur bei schwerer chronischer und therapieresistenter (nichtorganischer) Insomnie im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans durchgeführt.

707 Medikamentöse Therapieoptionen bei den Schlafstörungen

 → 1) Pharmaka sind im Wesentlichen die neueren Benzodiazepin-Rezeptorantagonisten, die sogenannten Z-Substanzen, aber auch sedierende Antidepressiva und niederpotente Antipsychotika.

→ 2) Die Pharmakotherapie sollte grundsätzlich zeitlich begrenzt werden.

→ III: Weitere Substanzen sind insbesondere:

→ 1) Pflanzliche Präparate: z.B. Baldrian, Hopfen können nach den Leitlinien nur bei leichten Schlafstörungen eingesetzt werden und

→ 2) Antihistaminika: (z.B. Doxylamin, Diphenhydramin) Sind zumeist nicht ausreichend wirksam und haben zusätzlich z.T. ausgeprägte anticholinerge Nebenwirkungen.

686 Therapieoption der Schlafstörung mittels Benzodiazepin Rezeptor Agonisten

 

Klinisch-relevant:

→ A) Der Einsatz von Benzdiazepinen bei Schlafstörungen wird nicht empfohlen, da zum einen die Benzodiazepine zahlreichen Nebenwirkungen bzw. Komplikationen (z.B. Reboundeffekt, Hang-over, Toleranzentwicklung Benzodiazepinabhängigkeit, paradoxe Wirkung, etc.) aufweisen, zum anderen die physiologische Schlafstruktur (Unterdrückung der REM-Schlaf- und Tiefschlafphasen) negativ verändert.

→ B) Moderne Benzodiazepin-Rezeptoragonisten wie z.B. Zopiclon, Zolpidem oder Zaleplon haben eine deutlich bessere Nebenwirkungsprofil, können jedoch auch schwere Abhängigkeitssyndrome hervorrufen.

→ C) Sedierenden Antidepressiva (Mirtazapin, Trimipramin) sowie niederpotente Neuroleptika (insbesondere Melperon Pipamperon und Quetiapin) weisen eine gute Wirksamkeit (einschlafanstoßend, durchschlaffördernd) bei geringem Nebenwirkungsrisiko (keine Abhängigkeitsentwicklung) auf und gelten somit als Mittel der ersten Wahl bei der Insomnie (Off-lable-Anwendung).

 

Prognose: Die (nichtorganische) Insomnie kann insbesondere bei adäquater Therapie gut behandelt werden; sie neigt ansonsten zur Chronifizierung. Grundsätzlich kann eine Schlafstörung zur gesundheitlichen und psychosozialen Beeinträchtigung führen und als Trigger für weitere Erkrankungen (z.B. Herz-Kreislauferkrankungen, Immundefizite, Störungen der Blutzuckerregulation, Suchterkrankungen, Depression, etc.) fungieren.