Definition: Die Binge-Eating-Störung beschreibt eine psychische Essstörung, bei der es zu rezidivierenden Episoden von "Fressattacken" kommt. Charakteristischerweise wird eine große Menge von Lebensmitteln zu sich genommen mit dem Gefühl des Kontrollverlustes und ohne nachfolgende gegenregulatorische Maßnahmen zur Gewichtsreduktion (im Gegensatz zur Bulimia nervosa).

 

Epidemiologie: Die Binge-Eating-Störung stellt die häufigste Essstörung dar.

→ I: Die Lebensprävalenz liegt bei 2,8%, wobei Frauen etwas häufiger als Männer betroffen sind (F : M = 1,5 : 1).

→ II: SIe tritt vorwiegend in der Jugend bis jungen Adoleszenz auf.

 

Ätiologie:

→ I: Die Pathogenese der Binge-Eating-Störung ist bis heute noch nicht genau bekannt.

 II: Genetische Fakoren: Zwillingsstudien belegen eine erhöhte Konkordanzrate (41%) bei Essanfällen ohne nachfolgende kompensatorische Maßnahmen.

 III: Auch lässt sich ein Zusammenhang zwischen depressiver Verstimmung bzw. psychosozialen Belastungen und der Anzahl der Essanfälle pro Zeiteinheit aufweisen.

→ IV: Eine vermehrte Beschäftigung mit der Figur, dem Gewicht, fehlende soziale Unterstützung, sowie vermindertes Selbstwertgefühl und depressive Verstimmungen können eine Rolle spielen.

→ V: Bei den Betroffenen wird das Essverhalten zusätzlich durch äußere Reize wie Geruch, Aussehen sowie situativ Gegebenheiten, wie Ärger, Anspannung, Ängste reguliert.

→ VI: Des Weiteren spielen intermittierende Diäten bei der Entwicklung dieser Essstörung eine Rolle.

 

Klinik:

→ I: Innerhalb eines begrenzten Zeitintervalls (z.B. 1,5 Stunden) kommt es zu einer extrem großen Zufuhr von Nahrungsmitteln.

→ II: Innerhalb dieses Intervalls findet man einen Kontrollverlust sowohl über die Menge und Art der zugeführten Lebensmittel, als auch über die Beendigung der Zufuhr. Die Heißhungeranfälle werden als Belastung empfunden.

→ III: Nachfolgende gegenregulatorische Maßnahmen (wie Erbrechen) fehlen.

→ IV: Weitere Charakteristika: Sind

→ 1) Es besteht meist kein Hungergefühl,

→ 2) Es wird alleine gegessen, weil die Zufuhr einer solch überdimensionierten Menge als peinlich angesehen wird. 

→ 3) Es wird zu schnell gegessen.

 4) Es wird bis zu einem unangenehmen Völlegefühl gegessen.

→ 5) Nach der „Fressattacke“ fühlt sich der Betroffene abstoßend und schuldig. Zwischen den Anfällen zeigt sich ein normales Essverhalten.

→ V: Adipositas.

 

Klassifikation: Nach den DSM-IV-Kriterien besteht eine Binge-eating-Störung:

→ I: Wenn die Symptome mindestens 2/ Woche über 6 Monate bestehen.

→ II: Wenn sie nicht ausschließlich während eine Anorexia nervosa oder einer Bulimia nervosa auftreten.

739 Diagnosekriterien der Binge Eating Störung nach DSM IV

 

Komplikationen: Diese sind meist Folgeerkrankungen der Adipositas mit arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus, Hypercholesterinämie, Arteriosklerose, etc.

 

Komorbiditäten: Sind gerade:

→ I:  Affektive Störungen, insbesondere die Depression

→ II:  Angststörungen und

→ III: Substanzmissbrauch.

 

Diagnose: Patienten mit einer Binge-Eating-Störung begeben sich meist nicht aufgrund ihrer Essstörung (zu großes Schamgefühl) in Behandlung, sondern vielmehr wegen des Übergewichtes.

→ I: Klinische Untersuchung:

→ 1) Bestimmung des Body-Mass-Index (= Körpergewicht/Körpergröße zum Quadrat). Der Body-Mass-Index beschreibt das Ausmaß des Über-/Untergewichtes einer Person. Folglich spricht ein Body-Mass-Index unter 17,5kg/m2 spricht für Untergewicht; bei einem BMI > 30 kg/m2 handelt es sich wiederum um Adipositas.

 2) Eigen-/Fremdanamnese: Zur Erfassung von Auffälligkeiten des Essverhaltens (Being-eating-disoder: Die Betroffenen fühlen sich meist schlecht, schuldig nach der Essattacke), von körperlichen Wahrnehmungsstörungen, emotionalen Belastungen sowie von weiteren psychischen Störungen.

3) Körperliche Untersuchung: Zur Eruierung von weiteren Ursachen für eine Adipositas einschließlich Labor und EKG.

 

Differenzialdiagnose: Von der Binge-Eating-Störungen müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden: 

→ I: Somatische Erkrankungen: die zu einer Heißhungerattacke führen, wie bestimmte Epilepsieformen (Epilepsie allgemein), Hirntumoren, Kleine-Levine-Syndrom (Hypersomnie-Bulimie-Syndrom),

→ II: Medikamentös induziert: Neuroleptika, trizyklische Antidepressiva, Lithium sowie Kortikosteroide, etc.

 

Therapie:

→ I: Allgemein: Die Therapie der Binge-Eating-Essstörung kann ambulant erfolgen und sollte folgende Themen beinhalten:

→ 1) Essbezogene Symptome wie Fressanfälle und Adipositas,

→ 2) Komorbide Störungen wie vermindertes Selbstwertgefühl, Störungen im Affekt und in der Impulskontrolle sowie weitere psychische Erkrankungen.

3) Rückfallprophylaxe (Abb.: Kriterien für eine stationäre Behandlung bei bestehender Essstörung).

II: Gewichtsreduktionsmanagement: Mit Psychoedukation, Ernährungsberatung, Reduktionsdiät und Bewegungstraining.

→ III: Psychotherapie: Die Behandlung der 1. Wahl ist die kognitive Verhaltenstherapie mit ihren unterschiedlichen Techniken wie:

→ 1) Selbstbeobachtung, bezüglich des pathologischen Essverhaltens und der Gefühle bzw. Gedanken dabei.

→ 2) Aufbau eines Alternativ-Verhaltens bzw. -handlungen. 

3) Selbstsicherheitstraining,

→ 4) Erlernen von Problemlösestrategien,

→ 5) Kognitives Umstrukturierung 

IV: Weitere Therapieverfahren: sind eine interpersonelle Therapie oder eine modifizierte Form der dialektisch-behavioralen Therapie.

V: Medikamentöse Therapie: Zwar ist diese Therapieform in Deutschland nicht zugelassen und muss als Off-Lable-Anwendung erfolgen, jedoch können unterstützend Antidepressiva wie die SSRI oder die SSNRI (Venlafaxin, Duloxetin) verabreicht werden. Unter Medikamenteneinnahme zeigt sich eine deutliche Reduktion der Frequenz von Fressanfällen.