Definition:  Die tri- und tetrazyklischen Antidepressiva, auch Nicht-selektive-Monoamin-Reuptake-Inhibitoren bezeichnet, gehören zu den klassischen Antidepressiva. Sie hemmen insbesondere die Wiederaufahme von Noradrenalin sowie Serotonin durch Inhibition der Transporterproteine und steigern hierüber die Transmitterkonzentration im synaptischen Spalt.

 

Klassifikation:

→ I: Trizyklische AD: Hierzu gehören: Imipramin, Trimipramin, Desipramin, Clomipramin, Amitriptylin, Nortriptylin, Doxepin etc.

480 Dosierung und Indikation der trizyklischen AD

II: Tetrazyklische AD: Hierzu gehören Mianserin und Maprotilin. Sie weisen geringere anticholinerge Nebenwirkungen auf und eigenen sich somit auch bei Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen.

481 Dosierung und Indikation der tetrazyklischen AD

 

→ Klinisch-relevant:

→ A) In mittleren Tagesdosen hemmen gerade Nortryptilin und Maprotilin vorwiegend die Noradrenalin-Wiederhaufnahme und haben diesbezüglich neben ihrer antidepressiven - auch eine antriebssteigernde, psychomotorisch-aktivierende Wirkung.

→ B)  Bei Imipramin und Clomipramin überwiegt wiederum die Hemmung der Serotonin-Wiederaufnahme, wodurch sie auch eine ausgeprägte axiolytische Wirkung aufweisen.

 

Wirkmechanismus:

→ I: Je nach Präparat hemmen sie stärker die präsynaptische Serotonin- oder Noradrenalin-Wiederaufnahme oder beide.

→ II: Langzeiteffekte der trizyklischen/tetrazyklischen AD sind u.a.:

→ 1) Down-Regulation der ß-Rezeptoren,

→ 2) Aktivierung postsynaptischer Alpha2-Rezeptoren.

→ 3) Steigerung der GABAergen Aktivität, welches auch die Hypothese des GABAergen Defizites bei Depression stützt. 

 

→ Indikation:

→ I: Die trizyklischen/tetrazyklischen Antidepressiva werden zur Behandlung der Depression eingesetzt. Hierbei sollte darauf geachtet werden, dass (Kielholz-Klassifikation):

229 Wirkungsspektrum der trizyklischen AD

→ 1) Patienten mit agitierter Depression vorrangig mit Antidepressiva vom Amitriptylin-Typ,

→ 2) Patienten mit gehemmter Depression mit AD vom Desipramin-Typ und

→ 3) Patienten mit depressiver Verstimmung mit AD vom Imipramin-Typ behandelt werden.

→ II: In der Langzeittherapie der Panikstörungen mit/ohne Agoraphobie haben sich vor allem Imipramin oder Clomipramin etabiert.  

→ III: Weitere Indikationen: Sind u.a.:

→ 1) Angststörungen (Imipramin),

→ 2) Zwangsstörungen (Clomipramin),

→ 3) Schlafstörungen wie z.B. die nichtorganische Insomnie, etc. (z.B. Trimipramin) sowie

→ 4) Chronische Schmerzzustände (trizyklische AD, v.a. Amitriptylin). 

479 Indikation der tri  und tetrazyklischen Antidepressiva

 

→ Pharmakokinetik:

→ I: Nach zumeist guter Resorption reichern sie sich als lipophile Basen in den verschiedenen Geweben ausreichend an; haben große Verteilungsräume.

→ II: Sie besitzen einen sehr hohen first-pass-Effekt.

→ III: Die Metabolisierung der trizyklischen/tetrazyklischen AD erfolgt hepatisch. Hierbei entstehen z.T. wirksame Metaboliten wie z.B. das Nortriptylin einen aktiven Metaboliten des Amitriptylin darstellt.

Nebenwirkungen: (Der tri-/tetrazyklischen AD) Aufgrund der vielen Nebenwirkungen sollten regelmäßige Kontrollen wie Kreatinin, yGT, GPT, Na+, K+, sowie EKG und evtl. EEG erfolgen.

I: Vegetative Nebenwirkungen:

→ 1) Anticholinerg: Durch Antagonismus an den muskarinen Acetylcholin-Rezeptoren kommt es zu Mundtrockenheit, Schwitzen, Obstipation, Miktionsstörungen, Akkommodationsstörungen, Mydriasis mit Abflussbehinderung des Kammerwassers, Steigerung des Augeninnendrucks, Tachykardie. Weitere das ZNS betreffende NW sind Gedächtnisstörungen, Desorientierung, Verwirrtheit, Halluzinationen, etc.

Insbesondere trizyklische AD zeigen zu Therapiebeginn ausgeprägte zentrale und periphere anticholinerge Nebenwirkungen, die als sehr störend empfunden werden. Um dies zu vermeiden, ist eine einschleichende Therapie der Substanz indiziert. 

 2) Antiadrenerg: Durch Hemmung der Alpha-Rezeptoren (= sympatholytisch) manifestieren sich arterielle Hypotonie, orthostatische Dysregulation, reflektorische Tachykardie, Arrhythmien, sowie Schwindel und erhöhtes Sturzrisiko.

 

→ Klinisch-relevant: Durch den chinidinartigen Effekt wirken insbesondere trizyklische AD kardiotoxisch. Typische Symptome sind u.a. eine negative Inotropie und ein deutlicher RR-Abfall. Zusätzlich können sich durch die Blockade spannungsabhängiger Na+-Kanäle kardiale Reizleitungsstörungen wie QT-Verlängerung, AV-Überleitungsstörungen (EKG-Befund: AV-Block) und ventrikuläre Tachykardien ausbilden.

 

II: Antihistaminerg: Durch Blockade der Histamin-1-Rezeptoren manifestiert sich eine sedativ-hypnotische, psychomotorisch-dämpfende Wirkung mit Müdigkeit und Gewichtszunahme durch gesteigerten Appetit. Insbesondere Imipramin, Clomipramin, Doxepin und Amitriptylin führen besonders häufig zu ausgeprägter Gewichtszunahme.

687 Nebenwirkungen der trizyklischen AD durch Blockade spezifischer Rezeptoren

 III: Eliptogene Wirkung: Durch Senkung der Krampfschwelle. Dies gilt vor allem für Clomipramin und Maprotilin.

 IV: Allgergische Hautausschläge: Gelegentlich treten Urtikaria, Exanthem und andere Hauterscheinungen auf.

→ V: Weitere Nebenwirkungen: Sind u.a.: Kopfschmerzen, Tremor, Hitzewallung, Hyperhidrosis, Übelkeit, passagerer Anstieg der Leberenzyme und sexuelle Dysfunktionen.

 

Komplikationen: Die insbesondere bei den trizyklischen AD auftreten: 

I: Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion.

II: Paralytischer Ileus.

III: Kardiomypathien

IV: Veränderung des Blutbildes mit Leukopenie, Agranulozytose und evl. Thrombozytopenie.

 

Klinisch-relevant: Ein hohes Risiko für die Ausbildung einer Leukopenie besteht bei Mianserin, sodass gerade zu Therapiebeginn, innerhalb des ersten Monats, eine wöchentliche Differenzialblutbildkontrolle erfolgen sollte.

 

V: Anticholinerges Syndrom: Gerade bei der Applikation von anticholinerg wirkenden Substanzen wie TZA oder Clozapin (= atypisches Antipsychotikum) kann es zu einem anticholinergen Syndrom kommen. Ursachen sind insbesondere Überdosierung und Intoxikation. Bei normaler Dosierung evtl. aufgrund einer verlangsamten Metabolisierung (= Poor-Metabolizer) sowie älteren Menschen mit zerebraler Vorschädigung.

 1) Klinik:

→ A) Anticholinerge Symptome: mit trockener Haut, Hyperthermie, Mydriasis, Obstipation bis hin zum paralytischen Ileus, Harnverhalten, Sinustachykardien und andere Herzrhythmusstörungen.

B) Zerebrale Symptome: Unruhe, Dysarthrie, Krampfanfälle, Desorientiertheit, Somnolenz, Koma. (Siehe zentrales anticholinerges Syndrom).

→ 2) Therapie: Absetzten der auslösenden Substanz, evtl. Gabe eines Cholinesterase-Hemmers wie Physostigmin.

 

Klinisch-relevant:

→ A) Bei Überdosierung aufgrund z.B. eines Suizid-Versuchs sollte wegen der anticholinergen Komplikationen wie Arrthythmie, Hyperthermie, Delir, Krampfanfälle und Koma immer eine intensivmedizinische Überwachung erfolgen.

B) Patienten mit kardialen Vorschädigungen sollten primär die neueren SSRI appliziert bekommen, da sie seltener kardiovaskuläre Nebenwirkungen aufweisen.

 

Kontraindikationen:

→ I: Akute Alkohol- und Medikamentenintoxikationen (z.B. Opiate, Hypnotika);

→ II: Akutes Delir, akute Manie,

 

→ Klinisch-relevant: Insbesosndere trizyklische AD weisen bei der Therapie der Depression im Rahmen der bipolaren affektiven Störungen ein erhöhtes Switch-Risiko mit Übergang in eine Manie auf, sodass sich hierbei die Behandlung mit den neueren SSRI etabliert hat.

 

→ III: Prostatahyperplasie, Pylorusstenose, Harnverhalten, Engwinkelglaukom, 

→ IV: Höhergradige AV-Blockierungen (EKG-Befund: AV-Block) sowie Z.n. Myokardinfarkt,

→ V: Die Kombination von trizyklischen AD mit MAO-Hemmern provoziert die Entwicklung von deliranten Zuständen mit Halluzinationen, Krampfanfällen etc. und ist somit kontraindiziert. Deshalb ist sogar immer eine Behandlungspause von mindestens 14 Tagen bei der Umstellung von MAO-Hemmern auf trizyklischen AD und umgekehrt einzuhalten.

 

Wechselwirkungen:

→ I: Gerade die Kombination der TZA mit anderen anticholinerg wirkenden Substanzen z.B. Antiparkinsonmittel, Clozapin ist bei älteren Patienten wegen des anticholinergen Syndroms nicht zu empfehlen (kontraindiziert).

→ II: Die Kombination mit weiteren sedierenden Substanzen wie Alkohol, Benzodiazepine, Neuroleptika, Opiate etc. verstärkt den zentral dämpfenden und atemdepressiven Effekt.

→ III: Insbesondere Amiodaron, aber auch andere Klasse-I-Arrhythmika verstärken die arrhythmischen Effekte der AD sowie weitere Nebenwirkungen.

→ IV: Die blutdrucksenkende Wirkung der Alpha2-Rezeptorsgonisten wie Clonidin und Methydopa wird durch eine Kombination mit trizyklischen AD deutlich vermindert.