Definition: Die Panikstörung bzw. Panikattacke ist definiert als repetitiv auftretender, anfallsartiger Angstzustand, der nicht durch spezifische Situationen, Umgebungen oder Objekte getriggert wird und von vegetativen Symptomen wie Herzrasen, Hitzewallungen, Beklemmungsgefühl, thorakale Schmerzen, Atemnot, abdominelle Beschwerden, etc. begleitet wird. Sie zählt zu den Angststörungen und nicht selten entwickelt sich sekundär sich die Furcht zu sterben oder wahnsinnig zu werden.

  Epidemiologie:

→ I: Die Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung liegt bei 2-3%, bei Verwandten 1.Grades sogar bei bis zu 20%.

→ II: Frauen sind 2-3 mal häufiger betroffen als Männer; Die Panikstörung tritt insbesondere im jungen Erwachsenenalter (2.-3. Lebensdekade) auf und ist zumeist mit spezifischen belastenden Lebensumständen assoziiert.

 

Klinik: Nach ICD-10 ist eine Panikstörung durch das plötzliche, sich wiederholende Auftreten von zeitlich begrenzten (meist 10-30min) Angstepisoden ohne spezifische Ursache charakterisiert. Klassische Symptome sind:

I: Psychisch:

→ 1) Minutenlange (meist 10-30min, evtl. jedoch auch Stunden), panikartige, intensive und spontane Angstzustände mit unkontrollierbarer Intensität.

→ 2) Während der Attacke besteht das Gefühl bzw. die Angst, verrückt zu werden bzw. zu sterben.

→ 3) Meist vorherige Befürchtung, bei einer Angstattacke keine ausreichende Hilfe zu erlangen.

→ 4) Im weiteren Krankheitsverlauf manifestiert sich häufig ein zunehmendes, phobisches Vermeidungsverhalten mit konsekutiver Erwartungsangst (Angst vor der Angst = Phobophobie), evtl. Agoraphobie und sozialer Isolation

→ II: Begleitsymptome: Innere Unruhe, Anspannung, Ohnmachtsgefühl sowie Depersonalisation und Derealisation.

→ III: Vegetativ:

→ 1) Schweißausbruch, Palpitationen, Tachykardie, Thoraxschmerzen, Tachypnoe bis hin zu Hyperventilationstetanie,

→ 2) Mundtrockenheit, Übelkeit, Diarrhoe, Harndrang, evtl. Obstipation.

→ 3) Tremor, Parästhesien, Hautblässe, Schwindel, Schmerzen, etc.

 

Klinisch-relevant:

→ A) Die Panikattacke dauert unterschiedlich lang, in der Mitte ca. 30min, kann aber auch mehrere Stunden anhalten. Das Angstmaximum wird innerhalb von wenigen Minuten erreicht.

→ B) Bei einigen Panikattacken steht die Herz-Symptomatik im Vordergrund (früher als Herzphobie bezeichnet). Sie ist charakterisiert durch das anfallsartige Auftreten von kardialen Symptomen wie Schweißausbruch, Blutdruckanstieg und thorakale Schmerzen ohne pathologisch kardialen Befund. Diese Form betrifft vorwiegend Männer im mittleren Lebensalter, ausgelöst durch z.B. eine Herzerkrankung im unmittelbaren sozialen Umfeld.

 

Komorbiditäten: Die Panikattacken sind häufig vergesellschaftet mit:

→ I: Weiteren Angststörungen, wie generalisierte Angststörung, soziale Phobien oder spezifische Phobien.

→ II: Depression,

→ III: Alkoholabhängigkeit und anderen Suchterkrankungen.

→ IV: In bis zu 50% manifestiert sich eine gleichzeitige Agoraphobie.

 

Diagnose:

→ I: Die Diagnose der Panikattacken wird klinisch mit Hilfe einer umfangreichen Eigen- und Fremdanamnese gestellt.

656 Mögliche Screeningfragen bei der Panikattacke

→ II: Testpsychologische Verfahren: Zur Diagnosestellung werden ergänzend testpsychologische Verfahren wie die Hamilton-Angstskala (HAMA), die Selbstbeurteilungsskala (SAS) oder die Panik und Agoraphobie Skala (PAS), Beck-Angst-Inventar (BAI), etc. angewandt.

→ III: Nach ICD-10 besteht eine Panikattacke, wenn:

→ 1) Schwere Angstattacken, die ohne eine spezifische Situation entstehen und somit nicht vorhersehbar sind.

→ 2) Sie kann in ihrer Symptomatik individuell variieren, jedoch ist allen ein akuter Beginn mit Schwindel, Palpitation, Herzrasen, Thoraxschmerzen etc. gemeinsam.

→ 3) Sekundär entwickelt sich eine Angst vor Kontrollverlust, Angst wahnsinnig zu werden und die Furcht, zu sterben.

→ 4) Zwischen den Angstattacken müssen symptomfreie Intervalle bestehen.

→ 5) Zeitkriterium: Es müssen mehrere schwere Angstanfälle pro Monat eruierbar sein.

657 Diagnosekriterien der Panikstörung bzw.  attacke nach ICD10

 

Differenzialdiagnose: Hiervon abzugrenzen sind sowohl weitere psychische Störungen als auch internistische Krankheitsbilder:

→ I: Metabolisch-endokrin: Wie Hyperthyreose (z.B. bei Morbus Basedow), Phäochromozytom, Hypoglykämie, etc.

→ II Karidal: Hypertensive KrisenKHKMyokardinfarkt.

→ III: Pulmonal: Asthma bronchiale, COPD, Lungenembolie, etc.

→ IV: Psychische Störungen:

→ 1) Agitierte Depression,

→ 2) Somatoforme Störungen

3) Persönlichkeitsstörungen insbesondere die ängstlich-vermeidende PS.

→ 4) Weitere Angststörungen wie u.a.

→ A) Spezifische Phobien: Hierbei stehen die Angstattacken in direktem Zusammenhang mit einer auslösenden Situation.

→ B) Generalisierte Angst: Zukünftige Ängste und Gefahren stehen im Vordergrund.

→ 5) Drogenmissbrauch: Einnahme von Cannabis, Kokain und andere Stimulanzien, evtl. Drogen induzierte Psychose.

→ 6) Prodromalstadium einer Schizophrenie.

 

Therapie: Je nach Leidensdruck und Schweregrad der Panikstörung umfasst die Behandlung psychotherapeutische oder medikamentöse Interventionen oder deren Kombination.

→ I: Psychotherapeutische Therapie:

→ 1) Aufbau einer vertrauensvollen, empathischen Patienten-Therapeuten-Beziehung. Initial steht die Aufklärung des Patienten, dass jene psychophysiologischen Körpersymptome eine Angstreaktion darstellen und keine Gefahr beinhalten, im Vordergrund. Dies erfolgt über die Psychoedukation bzw. die Erarbeitung eines Störungsmodells. Des Weiteren sollte eine Aufstellung der eigenen Befürchtungen, des individuellen Sicherheitsverhaltens (z.B. nicht alleine aus dem Haus gehen) und der Katastrophenphantasien erfolgen.

→ 2) Bei der Panikstörung hat sich insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie mit der Fokussierung auf  Expositionstherapie/Konfrontation- (als gestufte Exposition in vivo) sowie die kognitive Umstrukturierung dysfunktionaler Gedanken und Schemata etabliert.

→ 3) Weitere Therapieverfahren: Sind

→ A) Entspannungsübungen und Atemkontrolle.

B) Autogenes Training und progressive Muskelrelaxation nach Jacobson.

II: Medikamentöse Therapie:

→ 1) Im akuten Anfall ist ein "Talking-down", die Gabe eines Benzodiazepins (z.B. Lorazepam 1,5-2,5mg oder Alprazolam 2-4mg/d) zur sofortigen Symptomreduktion, sowie die Applikation eines ß-Blockers (z.B. Metoprolol oder Propanolol) bei vegetativ-betonter Klinik indiziert.

→ 2) Für die Dauerbehandlung der Panikstörungen haben sich insbesondere Antidepressiva vom serotonergen Typ, wie die SSRI (z.B. Fluoxetin 20-40mg/d, Paroxetin 20-40mg/d, Citalopram 20-60mg/d), die SSNRI (z.B. Venlafaxin 75-300mg/d), aber auch trizyklischen Antidepressiva z.B. Imipramin 75-250mg/d, Clomipramin) durchgesetzt. Die Antidepressiva müssen langsam und vorsichtig eindosiert werden, um das Spektrum der Nebenwirkungen initial gering zu halten. Eine erste Dosiserhöhung sollte nach 5-7 Tagen erfolgen. In den ersten Tagen der medikamentösen Therapie kann es zur Zunahme der Angstsymptomatik kommen, sodass der Patient frühzeitig intensiv aufgeklärt werden muss, um eine Fehlinterpretation im Sinne einer Verschlechterung der Grunderkrankung zu vermeiden.

658 Medikamente für die Behandlung der Panikstörung

→ III: Therapiedauer: Bei frühem Behandlungsbeginn wird die medikamentöse Therapie zunächst für mindestens 6 Monate angesetzt; zumeist jedoch dauert sie über Monate bis Jahre an.

 

Klinisch-relevant: 

→ A) Die Kombinationstherapie aus Psycho- und Pharmakotherapie stellt das Mittel der 1.Wahl bei der Panikstörung dar. 

→ B) Benzodiazepine sind jedoch wegen ihrer großen Benzodiazepinabhängigkeit nur kurzfristig einzusetzen.

 

Prognose: Die Panikstörung neigt bei inadäquater oder fehlender Behandlung zur Chronifizierung. Nicht selten bildet sich sekundär eine Alkoholabhängigkeit und/oder ein Medikamentenmissbrauch (in bis zu 50% der Fälle) aus.