→ Definition: Die soziale Phobie ist definiert als übersteigerte, irrationale und anhaltende Angst vor Situationen, in denen der Betroffene im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. In der sozialphobischen Situation entwickeln sich dann vegetative Symptome wie Unruhegefühl, Schwitzen, Erröten, Herzklopfen etc. Im weiteren Krankheitsverlauf manifestiert sich typischerweise ein Vermeidungsverhalten.
→ Epidemiologie:
→ I: Die Lebensprävalenz liegt bei ca. 5-10%, wobei Frauen etwas häufiger als Männer betroffen sind (F : M = 1,4 : 1).
→ II: Die soziale Phobie manifestiert sich meist in der Adoleszenz; es sind aber auch Entwicklungen vor dem 12. Lebensjahr beschrieben.
→ Klassifikation: Bei der sozialen Phobie unterscheidet man zwischen:
→ I: Isolierte soziale Phobie: Hierbei wird die Angst nur durch einen spezifischen Auslöser (Sprechen vor Publikum) getriggert, bezieht sich also nur auf eine einzelne soziale Situation.
→ II: Generalisierte soziale Phobie: Entsteht generell bei allen öffentlichen Interaktionen.
→ Klinik: Die soziale Phobie weist einen zumeist schleichenden Beginn auf; wichtige Symptome sind:
→ I: Leitsymptom ist die Angst vor Situationen, bei der der Patient unter der prüfenden Beobachtung bzw. Kritik anderer steht. Hierbei besteht die Befürchtung, sich durch ungeschicktes oder peinliches Verhalten zu blamieren oder Kritik zu erlangen. Charakteristisch für die soziale Phobie ist, das die Betroffenen oftmals ein sehr geringes Selbstwertgefühl aufweisen.
→ II: Im weiteren Krankheitsverlauf manifestiert sich ein Vermeidungsverhalten mit Tendenzen zur sozialen Isolation und konsekutiver Einschränkung im beruflichen Leben, in den Freizeitaktivitäten und der Beziehungsgestaltung.
→ III: Vegetative Symptome: Erröten, Zittern, Schweißausbruch, Übelkeit, Angst zu erbrechen, Miktions- und Defäkationsdrang. Die Symptome können das Ausmaß einer Panikattacke erreichen.
→ IV: Weitere Symptome: Sind u.a. Angst vor dem anderen Geschlecht, Angst zu Erröten (Erythrophobie). Die Patienten wissen, dass ihre Symptome übertrieben und irrational sind.
→ Komorbiditäten: Sie ist häufig mit weiteren psychischen Störungen vergesellschaftet. Hierzu zählen:
→ I: Weitere Angststörungen wie die Agoraphobie sowie spezifische Phobien.
→ II: Affektive Störungen insbesondere die Depression.
→ III: Alkoholabhängigkeit/-missbrauch sowie der Benzodiazepin-Missbrauch.
→ Diagnose:
→ I: Die Störung „ soziale Phobie“ wird klinisch gestellt und bedarf meist einer umfangreichen Eigen-/Fremdanamnese, da die Betroffenen diese aus Scham nicht erwähnen und sich meist aufgrund einer anderen komorbiden Störung (z.B. depressive Episode) vorstellen.
→ II: Nach ICD-10 besteht sie, wenn folgende Kriterien zutreffen:
→ 1) Die Störung zentriert sich um die Angst vor prüfender Beobachtung durch andere (nicht jedoch in großen Menschenmengen). Sie kann entweder klar begrenzt sein z.B. Essen oder Sprechen in der Öffentlichkeit, oder in jeder sozialen Situation hervorgerufen werden.
→ 2) Klassische klinische Beschwerden einer sozialen Phobie sind: Vermeiden von Blickkontakt, Erröten, Händezittern und/oder Harndrang.
→ 3) Assoziationen bestehen zu einem niedrigen Selbstwertgefühl.
→ Differenzialdiagnose: Von der sozialen Phobie müssen insbesonder nachfolgende psychische Störungen und Erkrankungen abzugrenzt werden:
→ I: Schizophrenie mit z.B. angstbesetzten Wahnideen.
→ II: Depression mit sozialem Rückzug,
→ III: Agoraphobie,
→ IV: Panikstörung,
→ V: Persönlichkeitsstörungen insbesondere vom ängstlich-vermeidenden Typ.
→ VI: Sekundäre soziale Phobie bei neurologischen Erkrankungen wie z.B. der Morbus Parkinson.
→ Therapie:
→ I: Verhaltenstherapie:
→ 1) Als wichtiger Bestandteil in der Behandlung der sozialen Phobien hat sich die kognitive-behaviorale Psychotherapie (Klassische Verhaltenstherapie / kognitive Verhaltenstherapie mit kognitiver Reattribuierung) etabliert.
→ 2) Ziele sind:
→ A) Die sozial-phobischen Verhaltensweisen und Kognitionen (dysfunktional) zu verändern bzw. umzustrukturieren,
→ B) Reduktion des Sicherheitsverhaltens: Identifikation des Sicherheitsverhaltens wie Arme verschränken, Blick senken etc. Anschließend erfolgt eine Unterbindung oder gezieltes Einsetzten der Sicherheitsstrategien.
→ C) Veränderung der Selbstaufmerksamkeit mit Reduktion der Selbstbeobachtung und hin zur Fokussierung der Außenwelt.
→ D) Bearbeitung des Selbstbildes: Hierbei spielen vor allem Verfahren wie Rollenspiele, Videofeedback und Training sozialer Kompetenz eine wichtige Rolle.
→ E: Expositionstherapie: Mit Exposition in sensu und in vivo.
→ II: Pharmakotherapie:
→ 1) Als Mittel der 1.Wahl haben sich in der Behandlung der sozialen Phobie die SSRI, das Escitalopram und das Paroxetin (Seroxat: 20-40mg) oder die SSNRI, das Venlafaxin, etabliert.
→ 2) Alternativ kann ein MAO-Hemmer, wie z.B. Moclobemid (Aurorix 400-600mg/d), appliziert werden.
→ 3) Vorübergehend, wegen der ausgeprägten Toleranzentwickung und Suchtgefahr, kann auch ein Benzodiazepin (Lorazepam: Tavor 1-2,5mg/d) verabreicht werden.
→ 4) Bei spezifischer Rede- und Prüfungsangst (= performance anxiety) bietet sich die Gabe eines Beta-Blockers an.
→ Prognose:
→ I: Unbehandelt weist die soziale Phobie einen chronischen, meist wellenförmigen Verlauf auf.
→ II: Nicht selten entwickeln sich in diesem Zusammenhang weitere psychische Störungen wie Suchterkrankungen, vor allem die Alkoholabhängigkeit, aber auch depressive Episoden.
→ III: Als prognostisch günstig gelten:
→ 1) Später Beginn,
→ 2) Hoher Bildungsgrad und
→ 3) Das Fehlen von Komorbiditäten.