→ Definition:
→ I: Bei der generalisierten Angststörung handelt es sich um lang anhaltende, frei flottierende Ängste, die die meisten Tage der Woche, über mehrere Wochen bestehen und nicht an spezifische Situationen oder Objekte gekoppelt sind, sondern vielmehr alle alltäglichen Situationen (wie Arbeit, Finanzen, Familie, Gesundheit und die Zukunft) betreffen;
→ II: Charakteristischerweise besteht bei dieser Angststörung kein auslösender Stimulus sowie kein spezifisches Vermeidungsverhalten.
→ III: Die Sorgen und Ängste werden von den Betroffenen als berechtigt (Ich-sychron) angesehen.
→ Epidemiologie:
→ I: Die Lebensprävalenz liegt bei ca 5-6%, wobei Frauen deutlich häufiger als Männer betroffen sind.
→ II: Der Manifestationsgipfel liegt zwischen der 2.-3. Lebensdekade; die Erkrankungsbeginn erfolgt fast auschließlich einschleichend.
→ Klinik: Generell unterscheiden sich die Sorgen von Patienten mit generalsierter Angststörung nicht von denen gesunder Menschen, jedoch werden sie als unkontrollierbar empfunden und nehmen die meiste Zeit des Tages ein.
→ I: Leitsymptom ist die übertriebene und persistierende bzw. frei flottierende Angst und Besorgnis bezüglich allgemeiner Lebensumstände wie drohende zukünftige Ereignisse wie z.B. Unfälle, Krankheit und nicht zuletzt Geldsorgen. Die Ängste sind typischerweise situations- und objektungebunden. Betroffene zeigen überwiegend ein reduziertes Selbstvertrauen, mit Problemen zurechtzukommen. Hierbei muss die Angst über ein längeres Zeitintervall von mehreren Wochen (DSM-IV mindestens 6 Monate) bestehen und allenfalls nur in ihrer Intensität variieren.
→ II: Vegetative Symptome: Innere Unruhe, Schlafstörungen, motorische Muskelanspannung, Schweißausbruch, Tremor, Mundtrockenheit, Übelkeit, Diarrhoe, Beklemmungsgefühl, Atemnot.
→ III: Weitere Symptome: Sind diffuse Schmerzen, innere Unruhe, Nervosität, Kopfdruck, Schwindel, Unfähigkeit zur Entspannung, Hypervigilanz, Schlafstörungen (Insomnie mit Ein- und Durchschlafstörungen), aber auch Depersonalisations- und Derealisationsgefühl.
→ IV: Es handelt zumeist um einen schleichenden Beginn und chronisch-fluktuierenden Krankheitsverlauf.
→ Komorbiditäten: Die generalisierte Angst ist häufig mit weiteren psychischen Störungen vergesellschaftet, wie:
→ I: Weitere Angststörungen, gerade auch soziale Phobien bzw. spezifische Phobien,
→ II: Depression,
→ III: Suchterkrankungen,
→ IV: Manchmal auch Suizidalität.
→ Diagnose:
→ I: Nach umfangreicher Eigen-/Fremdanamnese und Ausschluss organisch bedingter Erkrankungen, wird die Diagnose der generalisierten Angst klinisch gestellt.
→ II: Stützend können testpsychologische Verfahren wie die Hamilton-Angstskala (HAMA), das Beck-Angst-Inventar, die Selbstbeurteilungs-Angstskala (SAS) etc. herangezogen werden.
→ III: Nach ICD-10 besteht eine generalisierte Angststörung, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
→ 1) Das wesentliche Symptom, die anhaltende generalisierte Angst, an den meisten Tagen in der Woche über mehrere Wochen besteht,
→ 2) Die Angst frei flottiert sowie
→ 3) Folgende Einzelsymptome wie z.B. innere Unruhe, Nervosität, Konzentrationsstörungen, Sorge um zukünftige Ereignisse, Mundtrockenheit, Tachykardie, etc. nachweisbar sind:
→ Differenzialdiagnose: Von der generalisierten Angststörung müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:
→ I: Organisch: Hyperthyreose bei z.B. Morbus Basedow, Schilddrüsenautonomie, Hyperparathyreoidismus, Hypoglykämie, Phäochromozytom, Morbus Cushing, etc.
→ II: Drogen-induziert:
→ 1) Amphetamine und Kokain,
→ 2) Halluzinogene,
→ 3) Cannabis,
→ III: Medikamentös-induziert: Wie Sympathomimetika, Bronchodilatatoren (z.B. ß-2-Sympathomimetika, Anticholinergika oder Theophyllin).
→ IV: Persönlichkeitsstörungen, vor allem die ängstlich-vermeidende PS.
→ V: Angstsymptome bei Depression und Schizophrenie.
→ VI: Abgrenzung der generalisierten Angststörung zur:
→ 1) Panikstörung: Sie tritt akut und episodisch auf, während die generalsierte Angststörung einen chronisch kontinuierlichen (bandförmigen) Verlauf aufweist (Panikstörungen).
→ 2) Zwangsstörung: Hier bestehen ängstliche Gedanken und Handlungen gegenüber spezifischen Situationen wie Verunreinigung, Ansteckung etc. (Zwangsstörungen).
→ Therapie:
→ I: Psychotherapeutisch:
→ 1) Aufklärung und Psychoedukation.
→ 2) Kognitive Verhaltenstherapie: Die kognitive Verhaltenstherapie geht davon aus, dass psychische Störungen Ausdruck verzerrter Gedanken und Vorstellungen (= dysfunktionale Kognitionen) sind, die sich infolge langjähriger Erfahrungen entwickelt haben. Dysfunktionale Kognitionen sind u.a.: Dichotomes Denken, Generalisierung, Katastrophendenken, etc. Ziel ist es, diese Annahmen zu identifizieren und neu zu benennen bzw. umzustrukturieren. Verfahrensstrategien hierbei sind:
→ A) Realitätsprüfung: Überprüfung der Überzeugungen und Kognitionen hinsichtlich ihres Realitätsgehaltes. Der Patient soll verschiedene Sichtweisen vermittelt bekommen und lernen, dass diese wiederum Einfluss auf die Gefühle haben.
→ B) Reattributierung: Die eigenen Erfahrungen werden einer logischen Analyse unterzogen.
→ C) Alternative Erklärungen: Suche nach anderen Sichtweisen und Schlussfolgerungen (= Kognitives Neubenennen).
→ D) Entkatastrophisieren: Überprüfen, ob bei Eintreten der Sorgen wirklich eine Katastrophe bestünde. Darstellung der eigenen Überreaktion und Aufbau einer differenzierteren Sicht zu möglichen Katastrophen (d.h. Katastrophe stellt nicht das Lebensende dar).
→ 3) Sorgenkonfrontation in Sensu: Es handelt sich um ein weiteres wichtiges Therapieverfahren bei der Behandlung der GAS. Es beruht auf der Hypothese, dass das Vorherrschen von gedanklichen Prozessen und der ständige Themenwechsel die Habitution (= Abnahme der Reaktionsbereitschaft durch repetitive Stimulusdarbietung) an die angstbesetzte Sorge verhindert.
→ A) Vorbereitung: Sammeln der Sorgenbereiche (Krankheit, Familie, Beruf) und Aufstellung einer Sorgen-Hierarchie.
→ B) Durchführung: Der Patient soll eine bestimmte Sorge zu Ende denken und sich den schlimmstmögliche Ausgang möglichst bildhaft vorstellen. Ziel ist es, die sich dabei entwickelnde Angst auszuhalten, bis sie sich im Rahmen der Habituation vermindert.
→ 4) Sorgenkonfrontation in vivo: Die Grundannahme hierbei ist, dass das Sicherheits- und Vermeidungsverhalten zwar die Angst kurzfristig reduziert, jedoch langfristig zur Aufrechterhaltung der Sorge führt. Ziel ist es das Sicherheits- und Vermeidungsverhalten abzubauen, indem die gefürchtete Situation vom Patienten gezielt aufgesucht oder hergestellt wird.
→ 5) Kognitive Therapie nach Wells: Siehe dort.
→ 6) Entspannungsverfahren: Bietet eine wesentliche Grundlage für weitere verhaltenstherapeutische Strategien. Man geht davon aus, dass der Zustand der Entspannung das Erleben von Angst ausschließt. Zu den Entspannungsverfahren gehören u.a.:
→ A) Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson,
→ B) Autogenes Training und
→ C) Biofeedback.
→ 7) Psychodynamische Therapie: Die tiefenpsychologisch orientierten Verfahren stellen Veränderungen des Selbstkonzeptes in den Vordergrund. Sie zielen auf eine Stärkung und Nachreifung der strukturellen Ich-Schwäche sowie auf die Aufarbeitung der Angstsymptomatik zugrunde liegenden Konflikte unter Miteinbeziehung biographisch-relevanter Aspekte ab.
→ II: Medikamentös:
→ 1) Mittel der 1. Wahl bei der Behandlung der generalisierten Angststörung sind die Antidepressiva aus der Gruppe der SSRI (Escitalopram 5-20mg/d, Paroxetin 20-40mg/d) und der SSNRI (Venlafaxin 150-225mg/d, Duloxetin 30-60mg/d).
→ 2) Anxiolytika: Angstlösende Substanzen stellen die Benzodiazepine dar, sie können in akuten Phasen von Angst vorübergehend appliziert werden; alternativ steht Buspiron zur Verfügung (15-30mg/d; die volle Wirksamkeit wird jedoch erst nach einigen Wochen erreicht).
→ 3) Beta-Blocker sind bei ausgeprägten vegetativen und kardiovaskulären Symptomen indiziert.
→ 4) Ein neueres Präparat in der medikamentösen Behandlung der GAS ist das Antikonvulsivum, Pegralabin, das einen sehr starken anxiolytischen Effekt aufweist und in einer Dosierung von 150-600mg/d verabreicht wird.
→ Klinisch-relevant: Bei Pegralabin handelt es sich um ein y-Aminobuttersäure-Analoga (GABA), welches durch die Bindung an eine Untereinheit der spannungsabhängigen Kalium-Kanäle die Ausschüttung von Noradrenalin, Glutamat ect. (= exzitatorische Neurotransmitter) verhindert.
→ Prognose:
→ I: Die GAS weist einen eher ungünstigen fluktuierenden Krankheitsverlauf auf mit der Gefahr der Chronifizierung und latenten Suizidalität. Die Erfolgsquote liegt auch bei adäquater Behandlung nur bei 20-30%.
→ II: Eine Komorbidität mit einer Depression und/oder Alkoholabhängigkeit verschlechtert die Prognose deutlich.