Definition:

→ I: Bei den speziellen Phobien handelt es sich um Ängste, die auf ein spezifisches Objekt oder eine Situation beschrängt sind.

→ II: Charakteristischweise manifestiert sich ein Vermeidungsverhalten gegenüber dem auslösenden Stimulus, das nicht selten die Entwicklung einer Phobophobie (= Angst vor der Angst) induziert.

→ III: Weitere Aspekte dieser phobischen Störung sind u.a:

→ 1) Beeinträchtigung des persönlichen Lebensraums,

2) Z.T. Erheblicher Leidensdruck.

 

Epidemiologie:

→ I: Isolierte Phobien stellen unter den Angststörungen die häufigste Form dar, treten mit einer Prävalenz von 10-15% relativ häufig auf und beginnen zumeist schon in der Kindheit (Tierphobie). Seltener manifestieren sie sich erst nach dem 40. Lebensjahr (z.B. Akrophobie, Agoraphobie).

→ II: Frauen sind doppelt so häufig wie Männer betroffen.

 

Klassifikation: Die Ängste sind auf eine ganz bestimmtes Objekt bzw. Situation beschränkt.

→ I: Die häufigsten phobischen Objekte und Situationen sind:

→ 1) Zoophobie: Angst vor Tieren insbesondere Spinnen, Schlangen, Hunde, Mäuse etc. (diese Form ist in der Allgemeinbevölkerung am häufigsten vertreten),

→ 2) Akrophobie: Angst vor hohen Höhen,

→ 3) Aviophobie: Angst vor dem Fliegen,

→ 4) Dentalphobie: Angst vor zahnärztlichen Interventionen, 

5) Klaustrophobie: Angst vor engen, geschlossenen Räumen.

→ II: Eine Sonderstellung hat die Blut- und Injektionsphobie, da hierbei die Stimuluskonfrontation zumeist zu einer vegetativen Dysregulation mit möglicher orthostatischer Synkope führt.

 

Ätiologie: Auch bei der Genese der speziellen Phobien handelt es sich um ein multifaktorielles Geschehen (Siehe auch Angst- und Panikstörungen allgemein). Hierzu zählen:

→ I: Lerntheoretische Faktoren:

→ 1) Traumatische Erlebnisse in der Kindheit wie von einem Hund gebissen worden zu sein (= klassisches Konditionieren).

→ 2) Lernen am Modell: (= Modelllernen) Ängstlicher Eltern; z.B. die ängstliche Reaktion der Mutter beim Anblick einer Spinne.

II: Genetische Faktoren: Zwillingsstudien haben gezeigt, dass eine familiäre Disposition eine überschießende Angstreaktion auslösen kann.

III: Psychodynamische Faktoren: Sie geht davon aus, dass ursprüngliche Ängste, Objektverlustängste aber auch bedrohliche Impulse infolge aggressiver bzw. sexueller Konflikte durch den Abwehrmechanismus der „ Verschiebung“ auf äußere Situationen und Objekte unbewusst übertragen werden. Hiermit verhindert die isolierte phobische Angst die Demaskierung des vom " Über-Ich" unerlaubten Impulses.

 

  Klinisch-relevant: Ist die Biological-Preparedness-Hypothese nach Seligman. Sie geht davon aus, dass insbesondere diejenigen Stimuli pathologische Ängste auslösen, die evolutionsgeschichtlich eine Bedrohung für das eigene Überleben darstellen. Spezifische Reizsituationen und Angsterlebnisse werden leichter, schneller und besser gelernt. Diese kognitiven Verarbeitungsprozesse (z.B. Verarbeitung, physische Sensationen) erklären, warum sich Ängste gegenüber Schlagen, Spinnen oder Höhen, eher als gegen Bäume und Staubsaugern entwickeln.

 

Klinik:

→ I: Bei der spezifischen Phobie leidet der Patient an einer umschriebenen Angst vor bestimmten Objekten oder Situationen; häufige beziehen sich die Ängste auf Tiere, Naturelemente (z.B. Angst vor Gewitter) oder räumliche Situationen (z.B. Akrophobie).

→ II: Es entwickeln sich Angstreaktionen mit physischen und psychischen Symptomen, die sich bis zu einer Panikattacke steigern können.

→ III: Der Betroffene ist nicht in der Lage, die Ängste zu kontrollieren, obwohl er weiß, dass sie übertrieben und irrational sind.

IV: Im weiteren Krankheitsverlauf bildet sich ein Vermeidungsverhalten gegenüber dem angstauslösenden Stimulus aus.

 

Klinisch-relevant:

→ I: Die Diagnose kann nur gestellt werden, wenn die Angst bzw. das Vermeidungsverhalten zu einem erheblichen Leidensdruck führen, sodass der normale Tagesablauf, berufliche Tätigkeiten und zwischenmenschliche Beziehungen beeinträchtigt sind.

→ II: Die phobischen Objekte können sich innerhalb einer Kultur mit der Zeit auch ändern.

 

Diagnose:

→ I: Die Diagnose der isolierten Phobie wird klinisch gestellt; eine typische Fragestellung kann z.B. lauten: Fürchten und/oder vermeiden Sie bestimmte Objekte z.B. Hunde, Spinnen etc. oder bestimmte Aktivitäten (z.B. Flugreisen); oder tritt Ihre Angstsymptomatik nur in einem bestimmten Kontext, z.B. bei Konfrontation mit einem bestimmten Stimulus auf?

→ II: Zumeist bestehen im Vergleich zu anderen Angststörungen keine weiteren psychischen Störungen.

764 Diagnosekriterien der spezifischen Phobie nach ICD 10

  Differenzialdiagnose: Hiervon abzugrenzen sind u.a.:

→ I: Hypochondrische Störung mit Angst an einer schweren Erkrankung zu leiden (z.B. Karzinophobie).

→ II: Zwangsstörungen: Hierbei sind Ängste mit ritualisierten Verhaltensweisen vergesellschaftet.

→ III: Persönlichkeitsstörungen: Insbesondere die ängstlich vermeidende -, anankastische PS und die dependente PS.

  Therapie:

→ I: Psychotherapie:

→ 1) Psychoedukation: Aufklärung über die Erkrankung, Darstellung des Störungsmodells und Transparenz über das Therapieverfahren.

→ 2) Kognitive Verhaltenstherapie: Sie hat sich gerade bei der isolierten Phobie und der Agoraphobie als wirksam erwiesen. Hierzu zählen:

→ A) Konfrontationstherapie: Hier erarbeiten Therapeut und Patient initial die angstauslösenden Situationen und das bestehende Vermeidungsverhalten erarbeitet, um anschließend den Betroffenen der gefürchteten Situation auszusetzen. Dies kann graduiert erfolgen, es existiert aber auch die Möglichkeit des Flooding (= der Patient wird gleich der maximalen angstbesetzten Situation ausgesetzt).

B) Systemische Desensibilisierung: Dieses Behandlung läuft charakteristischerweise in 3 Schritten ab. Initial wird ein Entspannungsverfahren (z.B. progressive Muskelrelaxation nach Jacobson) erlernt, anschließend erfolgt die Erarbeitung einer Angsthierarchie mit einer Skala von 0-100 (0= keine Angst; 100= maximale Angst) entsprechend der Intensität. Im letzten Schritt ist die graduierte Konfrontation der Ängste, beginnend mit dem am wenigsten furchtauslösenden Objekt, in Sensu anschließend in Vivo indiziert. Dabei wird der Patient vor Beginn in einen Zustand der Entspannung gebracht.

II: Medikamentöse Therapie: Die Spezifische Phobie wird in der Regel psychotherapeutisch behandelt und eine medikamentöse Therapie ist zumeist nicht erforderlich (evtl. können nachfolgende Präparate supportiv verabreicht werden).

→ 1) Antidepressiva:

→ A) In der Behandlung der Panikstörungen und Phobien (auch der Agoraphobie) haben sich in erster Linie Antidepressiva, insbesondere die SSRI (z.B. Paroxetin 20-40mg/d bzw. Fluoxetin 20-40mg/d) und SSNRI (selektive-Serotonin-Noradrenain- Wiederaufnahme-Hemmer) wie das Venlafaxin in einer Dosis von 150-225mg/d etabliert.

→ B) Alternativ, als Mittel der 2.Wahl, kann ein trizyklisches Antidepressivum, z.B. Imipramin (150mg/d) oder Clomipramin (150mg/d) appliziert werden.

 

 → Klinisch-relevant: Der therapeutische Effekt der Antidepressiva tritt erst mit einer Latenz von 2-3 Wochen auf.

 

2) Benzodiazepine: Sie werden passager bei akuter, quälender klinischer Symptomatik eingesetzt.

→ 3) Insbesondere bei Vorherrschen von vegetativen Symptomen und der Prüfungsangst kann eine Behandlung mit einem Beta-Blocker versucht werden.

 

  Prognose:

→ I: Etwa 50% der isolierten Phobien persistieren, wobei sich die in der Kindheit erworbenen Phobien deutlich häufiger zurückbilden.

→ II: Belastet wird die Prognose durch einen möglichen Benzodiazepin- bzw. Alkoholmissbrauch.