→ Definition:
→ I: Bei der ventrikulären Tachykardie handelt es sich um 3 oder mehr unterhalb des His-Bündels entstehende Extrasystolen mit einer Frequenz zwischen 100-240 Schlägen/min. Charakteristikum hierbei ist ein verbreiterter QRS-Komplex (> 120ms), dessen Ursprung im Ventrikelmyokard liegt und über einen aberrierende Erregungsleitung verläuft.
→ II: Von einer anhaltenden ventrikulären Tachykardie spricht man, wenn sie länger als 30sec. anhält (bei weniger als 30sec. spricht man von einer nicht-anhaltenden Kammertachykardie).
→ Ätiologie: Ventrikuläre Tachykardien manifestieren sich v.a. bei ausgeprägten strukturellen Herzerkrankungen (z.B. Myokardinfarkt).
→ I: Bei schwere Herzerkrankungen, insbesondere chronisch-ischämische Prozesse wie die KHK und der Myokardinfarkt.
→ II: Genetisch bedingte Ionenkanalerkranungen des Herzens wie das Short-QT-Syndrom, Long-QT-Syndrom und das Brugada-Syndrom können eine VT einleiten.
→ III: Des Weiteren erworben bei Kardiomyopathien (z.B. dilatative Kardiomyopathie, arrhythmogene-rechtsventrikuläre Kardiomypathie), Myokarditis, schwere Rechtsherzbelastungen (z.B. beim Cor pulmonale oder Lungenembolie etc.), sowie medikamenteninduziert durch Digitalis oder andere Antiarrhythmika.
→ IV: Sehr selten tritt eine ventrikuläre Tachykardie bei Herzgesunden auf; sie stellt eine idiopathische ventrikuläre Tachykardie dar und wird in folgende Subtypen unterteilt:
→ 1) Idiopathische linksventrikuläre Tachykardie (ILVT),
→ 2) Rechtsventrikuläre Ausflusstrakttachykardie (RVOT),
→ 3) Linksventrikuläre Ausflusstrakttachykardie (LVOT).
→ Pathogenese:
→ I: Meist handelt es sich um Reentry-Kreisläufe im myokardialen Randgebiet von Narbengeweben bei KHK oder Myokardinfarkt. Hierbei kreist die Erregung in der Übergangszone zwischen der Infarktnarbe (= Erregungsbarriere) und vitalem Myokardgewebe (mit elektrophysiologisch abnormen bzw. verlangsamten Leitungseigenschaften). Einen weiteren Pathomechanismus stellt eine gesteigerte Autonomie, die insbesondere im Bereich des rechts- und linksventrikulären Ausflusstracktes lokalisiert ist, dar.
→ II: Getriggerte Aktivität infolge einer Digitalisintoxikation,
→ III: Selten durch abnorme Autonomien bei Herzgesunden (infolge idiopathischer, ventrikulärer Tachykardien).
→ Klassifikation: Die ventrikuläre Tachykardie kann nach Dauer und Morphologie klassifiziert werden:
→ I: Nach Dauer: Weniger als 30sec. = nicht-anhaltende, länger als 30sec. = anhaltende VT.
→ II: Nach Morphologie: Monomorphe VT mit uniformen QRS-Komplexen (= konstante QRS-Morphologie), polymorphe VT mit morphologisch wechselnden QRS-Komplexen.
→ Klinik: Je nach Frequenz, Dauer und Zustand des Herzkreislaufsystems können die Symptome stark variieren:
→ I: Kurz anhaltende VT können asymptomatisch verlaufen.
→ II: Länger dauernde entwickeln klinische Zeichen aufgrund der Abnahme des Herzminutenvolumens mit Kaltschweißigkeit, Palpitation, Herzrasen, Dyspnoe, Hypotonie, Angina pectoris bis hin zum Lungenödem und kardiogenem Schock.
→ Komplikationen:
→ I: Übergang in ein Kammerflimmern mit Ausbildung eines kardiogenen Schocks.
→ II: Beim Long-QT-Syndrom besteht die Gefahr der Entwicklung einer Torsades-de-Pointes-Tachykardie (EKG-Befund: Torsades-de-Pointes-Tachykardie).
→ Diagnose:
→ I: Anamnese: Medikamentenanamnese (z.B. Antiarrhythmika, Herzglykoside), Bestimmung des Digoxin/Digitoxin-Serumspiegels.)
→ II: EKG/LZ-EKG/Event-Recorder: Mittel der Wahl zum Nachweis einer ventrikulären Tachykardie:
→ 1) Deformierte, schenkelblockartig-verbreiterte QRS-Komplexe mit einer Dauer von zumeist > 120msec., meist > 140msec. (EKG-Befund: Schenkelblock allgemein).
→ 2) AV-Dissoziation, die P-Welle besteht unabhängig vom QRS-Komplex.
→ 3) Wenn möglich mit älteren EKGs vergleichen. (Siehe auch EKG-Befund: Ventrikuläre Tachykardien).
→ Differenzialdiagnose: Von der ventrikulären Tachykardie müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden; hierzu zählen u.a.:
→ I: Supraventrikuläre Tachykardien mit Aberration,
→ II: Supraventrikuläre Tachykardie mit vorbestehendem Schenkelblock.
→ Klinisch-relevant: Alle Tachykardien mit breitem QRS-Komplex werden bis zum Beweis des Gegenteils als Kammertachykardie gewertet und stellen immer eine Notfallsituation dar.
→ Therapie:
→ I: Akuttherapie:
→ 1) Überprüfung einer Digitalisintoxikation und der Elektrolyte, insbesondere der Kalium-Serumkonzentration (Hypokaliämie/Hyperkaliämie) sowie die O2-Gabe.
→ 2) Medikamentöse Therapie:
→ A) Amiodaron: Stellt das Mittel der Wahl bei Patienten mit Herzinsuffizienz dar. Die Dosierung beträgt 300mg i.v. über 5min unter EKG-Kontrolle.
→ C) Ajmalin: Ist bei Patienten ohne Herzinsuffizienz das Mittel der Wahl mit einer Dosis von 50mg langsam i.v. unter EKG Kontrolle.
→ E) Zugleich sollte eine Korrektur der begünstigenden/auslösenden Faktoren wie Hypoxie, Elektrolytverschiebungen (z.B. Kalium-, Magnesium-Substitution), Azidose eingeleitet werden.
→ 3) Kardioversion: Bei hämodynamisch instabilen Patienten sollte eine sofortige elektrische Kardioversion unter Kurznarkose mit einer Initialdosis von 200J und anschießender Gabe von Amiodaron erfolgen.
→ 4) Bei bestehender Bewusstlosigkeit mit Kammerflattern/Kammerflimmern ist eine sofortige Defibrillation indiziert.
→ II: Rezidivprophylaxe:
→ 1) Behandlung der Grunderkrankung z.B. durch eine Revaskularisationstherapie bei bestehender Myokardischämie.
→ 2) Nach Myokardinfarkt ist eine Therapie mit ß-Blockern (ohne intrinsische Aktivität) indiziert, um das Risiko des plötzlichen Herztodes zu minimieren.
→ 3) Bei Patienten mit instabilen VT und/oder einer verminderten Ejektionsfraktion (< 35%) sollte ein ICD (= implantierbarer Kardioverter-Defibrillator) implantiert werden.
→ 4) Rezidivierende VT trotz ICD-Implantation bzw. antiarrhythmischer Therapie bedürfen einer Katheterablation.
→ Prognose: Die Prognose ist insbesondere von der zugrundeliegenden Erkrankung abhängig. Als prognostisch ungünstig erweist sich eine anhaltende ventrikuläre Tachykardie in den ersten 3 Monaten nach Myokardinfarkt; hierbei liegt die Mortalitätsrate bei bis zu 85% innerhalb des ersten Jahres. Patienten ohne organische Herzerkrankung haben kein relevant erhöhtes Mortalitätsrisiko.