Definitionen: Zu den anhaltenden affektiven Störungen zählen vor allem die Dysthymie und die Zyklothymie. Unter der Dysthymie versteht man eine chronische, mindestens 2 Jahre anhaltende depressive Verstimmung, die in ihrer Schwere die Kriterien einer Depression nicht erfüllt. Es werden insbesondere 2 Verlaufsformen der Dysthymie unterschieden: 

499 Mögliche Verlaufsformen der Dysthymia

 

Epidemiologie:

→ I: Das Lebenszeitrisiko liegt bei ca. 2-4 (-6)%, wobei Frauen doppelt so häufig wie Männer betroffen sind ähnlich der depressiven Störung.

→ II: Die Dysthmie sowie die Zyklothymie können in jedem Alter auftreten, jedoch existieren zwei Manifestationsgipfel, zum einen in der frühen Adoleszenz (Anfang 20.), zum anderen ab der 4. Lebensdekade.

 

→ Ätiopathogenese: Bei der Dysthymia ist die Pathogenese bis heute noch nicht genau bekannt; vielmehr geht man von einem multifaktoriellen Prozess aus (insbesondere nachfolgende Faktoren haben eine erhöhte Prägnanz):

→ I: Genetische Faktoren: In Familienuntersuchungen zeigt sich bei den Dysthymie-Patienten eine deutlich erhöhte familiäre Belastung mit affektiven Störungen.

→ II: Neurobiologische Faktoren: Hierzu zählen u.a.:

→ 1) Pathologischer TRH- und Dexamethasonsuppressionstest.

→ 2) Verkürzung der REM-Latent sowie

→ 3) Verminderte Schlafqualität und Schlafeffizienz.

→ III: Ein Zusammenhang mit kritischen Lebensereignissen existiert nicht.

 

Klinik: Die klinische Symptomatik der Dysthymie beginnt zumeist schleichend und neigt zur Chronifizierung:

→ I: Zeichen einer leichten Depression, deren Symptome jedoch nicht den Kriterien einer Depression entsprechen und über 2 Jahre anhalten.

II: Zwischenzeitlich gibt es Phasen mit normaler Stimmung, die über Tage bis Wochen anhalten.

III: Gerade bei frühem Krankheitsbeginn neigt die Dysthmie zur Chronifizierung und Ausbildung einer depressiven Episode.

IV: So bilden ca. 75% der Patienten mit Dysthymia im Zeitraum von 5 Jahren eine Depression aus.

V: Typische Symptome: Die Betroffenen sind oft monatelang müde, unzugänglich, schlafen schlecht, Nichts kann genossen werden, zudem zeigen sich Symptome wie Konzentrationsstörungen, Pessimismus und Rückzugstendenzen, aber evtl. auch Gereiztheit und Wut. Trotzdem sind die Patienten unter größter Anstrengung den täglichen Anforderungen gewachsen.

255 Schematische Darstellung der Dysthymie

 

 Komorbiditäten: Die Dysthymie, aber auch die Zyklothymie sind vermehrt mit nachfolgenden psychischen Störungen vergesellschaftet:

→ I: Depressive Episoden bzw. rezidivierende depressive Störungen.

 II: Missbrauch bzw. Abhängigkeit von Alkohol und psychotropen Substanzen.

→ III: Angststörungen,

→ IV: Persönlichkeitsstörungen, insbesondere die emotional-instabile -, die dependente - und die ängstlich-vermeidende PS.

 

→ Diagnose: Nach ICD-10 besteht eine Dysthymie: 

500 Diagnosekriterien der Dysthymia

 

→ Differenzialdiagnose: Von der Dsythymie sind insbesondere Erkrankungen, die mit depressiven Episoden einhergehen, abzugrenzen. Hierzu zählen:

→ I: Psychische Erkrankungen:  

→ 1) Chronifizierte depressive Episoden bei unipolaren bzw. bipolaren affektiven Störungen,

→ 2) Depressive Episoden bei:

→ A) Der generalisierten Angststörung,

→ B) Persönlichkeitsstörungen insbesondere der Borderline-, dependenten - und der ängstlich-vermeidenden PS.

C) Im Rahmen einer postraumatischen Belastungsstörung aber auch

→ D) Als dysthymes Prodromi der Schizophrenie.

 II: Somatische Erkrankungen: Insbesondere chronisch-somatische Erkrankungen beeinträchtigen den Affekt und können mit einer ähnlichen Symptomatik einhergehen.

751 Schematische Darstellung der Krankheitsverläufe der affektiven Störungen

 

→ Therapie: Der Dysthymie siehe unten.

 

→ Prognose:

→ I: Bei fehlender Behandlung besteht die Gefahr der Entwicklung einer chronischen Depression mit deutlichem Verlust von Lebensfreude. Bei adäquater Therapie ist die Prognose langfristig günstiger.

→ II: Es manifestiert sich ein deutlich erhöhtes Suizid-Risiko (liegt bei 10%). Als prognostisch ungünstige Faktoren gelten u.a.:

502 Ungünstige Prognosefaktoren der Dysthymia

 

Klinisch-relevant:

→ A) Double Depression: Entwickelt sich auf dem Boden einer Dysthymia eine depressive Episode spricht man von Double-Depression d.h. Überlagerung der dysthymen Symptomatik von einer depressiven Episode.

B) Weitere der Dysthymia nahestehende Depressionsfomen:

→ 1) Rezidivierende kurze depressive Störungen: Beschreibt häufige kurze, meist 2-4 Tage anhaltende depressive Phasen.

→ 2) Minor-Depression: Milde Verlaufsform der Depression (volkswirtschaftliche Bedeutung durch Fehlzeiten und Krankschreibungen).

3) Prämenstruelle dysphorisches Syndrom: Mit Dysphorie, Heißhunger und Schlafstörungen.

 

 Definition: Als  Zyklothymia bezeichnet man eine chronische, mindestens 2 Jahre anhaltende, Instabilität der Stimmung mit einem Wechsel aus depressiven und gehobenen (hypomanischen) Stimmungen (erfüllen jedoch nicht die Kriterien einer Manie oder Depression). Sie stellt einen Subtyp der bipolaren affektiven Störung dar.

 

Epidemiologie: Das Lebenszeitrisiko beträgt bei der Zyklothymie 0,4-1%, wobei sie gerade im jungen Erwachsenenalter auftritt. Frauen sind genauso häufig wie Männer betroffen.

256 Schematische Darstellung der Zyklothymie

 

Klinik: Die Instabilität hält mindestens 2 Jahre an und bezieht sich zumeist auf aktuelle Lebenssituationen. Ähnlich wie bei der Dysthymie weisen die Patienten eine chronisch depressive Verstimmung, die intermittierend durch Zeiten gehobener Stimmung unterbrochen wird. In dieser Phase manifestiert sich eine Symptomatik aus gehobener Stimmung, Antriebsteigerung, vermehrter Geselligkeit, gesteigertem Optimismus und Selbstvertauen, aber auch ein agressiver Affekt und die Neigung zur Konfrontation sind möglich. Eine Therapie ist meist nicht nötig. In 15-30% kann sie in Bipolare-I/II-Störung übergehen.

 

→ Diagnose: Die Diagnose der Zyklothymie besteht nach ICD-10: 

501 Diagnosekriterien der Zyklothymia nach ICD 10

 

→ Differenzialdiagnose: Von der Zyklothymie, insbesondere in der hypomanischen Phase, abzugrenzen sind vor allem:

→ I: Chronischer Alkohol- und Rauschmittelkonsum von Benzodiazepinen, Cannabis, Opiaten und Psychostimulanzien etc.

→ II: Zykloide Symptome infolge von somatischen Störungen; hierzu zählen:

→ 1) Medikamentös-induziert: Steroide, ACTH, L-Dopa, Anticholinergika, Appetitzügler, etc.

→ 2) Neurologische Erkrankungen: Tumoren des ZNS, Infektionen, MS, etc.

→ 3) Internistische Erkrankungen: Hyperthyreose, Morbus Cushing, Morbus Addison, etc.

 

→ Therapie: Gerade bei der Zyklothymie ist zumeist keine spezielle Therapie erforderlich. Ansonsten werden beide Formen ambulant therapiert. Hierbei steht eine pharmakologische und psychotherapeutische Kombinationstherapie zur Verfügung.

→ I: Medikamentöse Therapie:

→ 1) Dysthymie: Entspricht der Therapie der depressiven Episode insbesondere mit der Applikation von Antidepressiva vom SSRI-Typ z.B. Fluoxetin 20mg/d, Paroxetin 20mg/d oder Citalopram 10mg/d. Auch Amisulprid in niedriger Dosierung weist eine positive Wirkung auf.

→ 2) Zyklothymie: Bei dieser Form kann vor allem bei bestehendem Leidensdruck eine präventive Behandlung mit einem Stimmungsstabilisierer versucht werden. Im Rahmen der depressiven Phase wird zusätzlich ein Antidepressivum appliziert.

→ II: Psychotherapie:

→ 1) Hier steht die Psychoedukation mit umfangreicher Aufklärung über die Erkrankung sowie die Darstellung des Störungsmodells mit konsekutiver Erfassung der autobiographischen Erfahrungen, die zu den depressiven Denk- und Gefühlsmustern führen, und deren aufrechterhaltenden Mechanismen im Vordergrund.

→ 2) Auch werden die individuellen Ressourcen des Patienten erarbeitet und gestärkt, um im Anschluss alternative Copingstrategien zu entwickeln.

→ 3) Des Weiteren stehen weitere verhaltenstherapeutische Interventionen wie z.B.

→ A) Aufbau der sozialen Kompentenz,

→ B) Förderung von angenehmen Aktivitäten (z.B. Bewegungs-, Musiktherapie),

→ C) Veränderung von fehlerhaften Kognitionen (im Sinne der depressiven Triade nach A.T.Beck) bereit.

 

→ Prognose: Gerade bei der Zyklothymia stellt sich mit zunehmendem Alter eine gewisse Ausgeglichenheit ein.