Definition: Bei der distalen Radiusfraktur handelt es sich um einen Biegungsbruch der handgelenksnahen Speiche; nicht selten ist die Ulna mitbetroffen.

 

→ Epidemiologie:

→ I: Die distale Radiusfraktur ist die häufigste Fraktur des Menschen (in Deutschland 200000 pro Jahr).

→ II: Besonders betroffen sind junge Menschen zwischen 9. bis 18. Lebensjahr und Frauen nach der Menopause aufgrund von osteoporotischen Veränderungen der Knochenstruktur.

 

→ Ätiologie: Der Unfallmechanismus ist der Sturz vor allem auf die extendierte, seltener auf die volarflexierte Hand. Der Frakturtyp ist von der Handstellung bei Unfallereignis abhängig; man unterscheidet:

→ I: Dorsalextendierte Hand: Extensionsfraktur = Colles Fraktur (in 85% der Fälle);

II: Palmarflexierte Hand: Flexionsfraktur = Smith-Fraktur.

 

Klassifikation: Es haben verschiedene Klassifikationen der distalen Radiusfraktur etabliert; hierzu zählen u.a.:

→ I: Klassifikation: Nach Frykman:

→ 1) Typ 1: Extraartikuläre Querfraktur des distalen Radius,

→ 2) Typ 2: Extraartikuläre Querfraktur des distalen Radius + Fraktur des Processus styloideus der Ulna.

→ 3) Typ 3: Die Frakturlinie reicht ins Radiokarpalgelenk.

→ 4) Typ 4: Die Frakturlinie reicht ins Radiokarpalgelenk + Fraktur des Processus styloideus der Ulna. 

→ 5) Typ 5: Die Frakturlinie reicht ins Radioulnargelenk

→ 6) Typ 6: Die Frakturlinie reicht bis ins Radioulnargelenk + Fraktur des Processus styloideus der Ulna.

7) Typ 7: Y-förmige Fraktur mit Beteiligung des Radiokarpal- und des Radioulnargelenks.

8) Typ 8: Y-förmige Fraktur mit Beteiligung des Radiokarpal- und Radioulnargelenks + Fraktur des Processus styloideus der Ulna.

705 Klassifikation der distalen Radiusfraktur nach Frykman

→ II: AO-Klassifikation der distalen Radiusfraktur:

478 AO Klassifikation der distalen Radiusfraktur 

 

Klinisch-relevant: Weitere wichtige distalen Radiusfraktur sind insbesondere:

 A) Barton-Fraktur: Hierbei handelt es sich um eine intraartikuläre Fraktur des distalen und dorsalen Radiusrandes. Diese Fraktur ist immer instabil und muss offen reponiert werden. Eine Osteosynthese wird mittels internen oder externen Fixateur erreicht.

 B) Hutchinson-Fraktur: Es handelt sich um eine intraartikuläre Fraktur des Processus styloideus radii (Chauffeurs-Fraktur). 

706 Schematische Darstellung der Chauffeur  bzw. Barton Fraktur

 

→ Klinik:

→ I: Charakteristische klinische Symptome sind Druckschmerz, Schwellung und schmerzhafte Bewegungseinschränkung im Handgelenk.

→ II: Fehlstellung der Hand als Bajonettstellung zumeist im Rahmen einer Extensionsfraktur (durch Dislokation des Fragments mitsamt der Hand nach dorsoradial).

→ III: Begleitverletzungen:

→ 1) Druckläsion des Nervus medianus im Karpaltunnel (Karpaltunnelsyndrom).

→ 2) Radiokarpale Luxation und Instabilität.

→ 3) Karpale Frakturen und nicht zuletzt

→ 4) Das Kompartmentsyndrom (es muss insbesondere im Bereich des Karpaltunnels darauf geachtet werden. Der N. medianus wird häufig erst bei manifestem Kompatmentsyndrom symptomatisch).

 

→ Diagnose:

→ I: Anamnese/klinische Untersuchung:

→ 1) Klärung des Unfallhergangs.

→ 2) Bei der Inspektion zeigt sich eine typische Weichteilschwellung und nicht selten eine Achsenfehlstellung und eingeschränkte bis aufgehobene Beweglichkeit.

→ 3) Palpation: Tastbare dislozierte Fragmente sowie verminderte Sensibilität bei Nervenläsion (insbesondere des N. medianus); in diesem Zusammenhang ist die DMS-Kontrolle obligat.

→ II: Bildgebung:

→ 1) Röntgen: Des Unterarms und Handgelenks in 2 Ebenen (a.p. und seitlich) zur Darstellung von Fehlstellungen, artikulärer Beteiligung sowie zum Ausschluss einer möglichen Abrissfraktur des Proc. styloideus ulnae, Skaphoidfraktur oder einer perilunären Luxationsfraktur.

→ 2) CT: Insbesondere bei komplexeren Frakturformen zur adäquaten Therapieplanung.

 

→ Differenzialdiagnose: Von der distalen Radiusfraktur müssen v.a. die nachfolgenden Frakturen abgegrenzt werden:

→ I: Monteggia-Fraktur,

→ II: Galeazzi-Fraktur,

→ III: Unterarmschaftfraktur aber auch

→ IV: Zerrungen und Verstauchungen im Bereich des Unterarms.

 

→ Therapie: Bezüglich der therapeutischen Intervention bei der distalen Radiusfraktur ist die Stabilitätsbeurteilung obligat; sie umfasst insbesondere:

707 Stabilitätsbeurteilung der distalen Radiusfraktur vor Therapie

 → I: Konservative Therapie: 

→ 1) Reponierbare extraartikuläre metaphysäre Biegungsfrakturen (mit maximal einem Instabilitätskriterium), reponierbare Abscherfrakturen der Gelenkflächen mit minimaler Dislokation, epiphysäre Stauchungsfrakturen ohne starke Verkürzung sind bedeutende Indikationen für eine konservative Intervention.

→ 2) Die Therapie besteht in der Reposition durch Längszug (mittel sogenanntem "Mädchenfänger") evtl. unter dorsalem Druck auf das distale Fragment (bei Colles-Fraktur). Wichtig hierbei ist insbesondere die anatomische Wiederherstellung der Radiuslänge sowie des Radiuswinkels. Die Fixation erfolgt durch einen Unterarmgipsverband.

→ 3) Nachsorge: Röntgenkontrollen nach einer, zwei und vier Wochen sind zur frühzeitigen Erkennung einer häufigen sekundären Dislokation obligat.

→ II: Operative Therapie: Insbesondere bei nicht reponierbaren instabilen Frakturen, metaphysäre Trümmerzonen, offenen Frakturen und Frakturkomplikationen wie Zirkulations- und Innervationsstörungen sind operative Interventionen indiziert. Behandlungsmaßnahmen sind u.a.:

→ 1) Die perkutane Bohrdrahtosteosynthese ist v.a. bei metaphysären Extensionsfrakturen (A2, A3 nach der AO-Klassifikation) mit mehr als einem Instabilitätskriterium indiziert.

→ 2) Schraubenosteosynthese bei B1-Frakturen.

→ 3) Winkelstabile Plattenosteosynthese bei Mehrfragment-Gelenkfrakturen (C1 und C2 nach AO-Klassifikation) sowie Flexionsfrakturen.

→ 4) Fixateur externe: Stellt die Primärversorgung bei offenen Frakturen sowie Frakturen mit ausgedehnten Weichteildestruktionen, aber auch Trümmer- (C3 nach AO) und Luxationsfrakturen dar.

 

→ Prognose:

→ I: In bis zu 75% der Fälle zeigen sich (insbesondere abhängig vom Frakturtyp und dem Alter des Patienten) nach OP und frühfunktioneller Behandlung gute Langzeitresultate.

→ II: Wichtige und z.T. schwerwiegende postoperative Komplikationen sind: 

→ 1) Sekundäre Dislokation innerhalb der ersten 2 Wochen nach OP.

→ 2) Medianuskompressionssyndrom.

→ 3) Persistierende Schmerzzustände bei in Fehlstellung ausgeheilter Fraktur.

→ 4) Pseudarthrose des Processus styloideus ulnae, etc.