→ Definition: Bei der seltenen Skapulafraktur handelt es sich um eine Fraktur des Schulterblattes, bei der man insbesondere zwischen intraartikulären Frakturen mit Beteiligung des Glenoids und extraartikulären Frakturen unterscheidet.
→ Epidemiologie:
→ I: Die Skapulafraktur ist mit 0,5-1% eine sehr seltene Fraktur.
→ II: Mit 70% ist der Skapula-Korpus häufiger als das Collum scapulae (30%) betroffen.
→ III: Intraartikuläre Frakturen (= Glenoid) findet man in 10% der Fälle.
→ Ätiologie:
→ I: Trümmer- und Stückfrakturen können nur durch große, direkte Gewalteinwirkungen (Hochrasanztraumata) entstehen, da das Schulterblatt von einem starken Muskelmantel umgeben ist.
→ II: Frakturen des Glenoids manifestieren sich meist bei indirekter Gewalteinwirkung wie z.B. der Schulterluxation.
→ III: Selten handelt es sich um eine isolierte Fraktur, sondern ist vielmehr mit weiteren Begleitverletzungen (90%der Fälle) assoziiert; hierzu zähen:
→ 1) Klavikulafraktur in 27% der Fälle,
→ 2) Läsionen des Plexus brachialis (13%), der BWS, HWS und Schädel-Hirn-Traumata sowie
→ 3) (Intra-)Thorakale Verletzungen sind mit 54% der Fälle die häufigsten Begleitverletzungen; zu ihnen gehören insbesondere die Rippenfraktur, der Pneumothorax und die Lungenkontusion.
→ Klassifikation:
→ I: Die Fraktur des Skapula wird nach Euler und Rüedi unterteilt in:
→ 1) Typ A: Korpusfrakturen (einfach oder mehrfach).
→ 2) Typ B: Fortsatzfrakturen wie Spina scapulae (B1), Coracoid (B2) und Akomion (B3).
→ 3) Typ C: Collumfrakturen wie Collum anatomicum (C1), Collum chirurgicum (C2), Collum chirurgicum + Klavikulafraktur oder + Ruptur der Ligg. coracoclaviculare und coracoacromiale (C3).
→ Klinisch-relevant: Die Floating-Shoulder stellt eine Kombination aus Collumfraktur und akromioklavikulärer Instabilität dar. Ursache der Instabilität ist eine begleitende Klavikulafraktur oder eine Ruptur der Ligg. coracoacromiale und coracoclaviculare.
→ 4) Typ D: Gelenkfrakturen: Pfannenrandfraktur (Bankart-Fraktur) bzw. echte Glenoidfraktur mit Unterteilung in D1 (Pfannenrandfrakturen), D2 (Frakturen der Fossa glenoidales) und D3 (Kombinationfrakturen).
→ 5) Typ E: Kombinationsfraktur mit Humeruskopffraktur.
→ II: Einteilung der Glenoidfraktur nach Ideberg:
→ 1) Typ 1: Fraktur des vorderen Pfannenrandes (ist die häufigste Form).
→ 2) Typ 2: Quer oder schräg verlaufende Frakturen mit Gefahr der Dislokation.
→ 3) Typ 3: Fraktur des Glenoids und des Skapulahalses meist kombiniert mit einer Fraktur des Akromions und der Klavikula.
→ 4) Typ 4: Horizontal verlaufende Fraktur durch Collum und Korpus.
→ 5) Typ 5: Kombinationsfraktur aus Typ 4 und Typ 2 (= Mehrfragmentfraktur).
→ Klinik:
→ I: Charakteristische Schonhaltung des Arms in Adduktionsstellung, die Abduktion wird vermieden.
→ II: Druck- und Stauchungsschmerz
→ III: Mäßige Schwellung, Bewegungseinschränkung und evtl. Tiefstand der Schulter.
→ Klinisch-relevant: Überprüfung des N. suprascapularis, der durch die Incisura scapulae am Oberrand des Collum chirurgicum verläuft und den M. supra- und infraspinatus versorgt. Aber auch Überprüfung des N. axillaris, der sensibel den lateralen Bereich über dem M. deltoideus versorgt.
→ Komplikationen: Komplikationen bei der Skapulafraktur betreffen insbesondere neurovaskuläre Strukturen oder den Throraxraum; hierzu zählen insbesondere:
→ I: Desktruktionen des Plexus brachialis sowie Arterienläsionen.
→ II: Thoraxtraumata wie Rippenfrakturen bzw. Rippenserienfrakturen, Pneumothorax oder Lungenkontusion etc.
→ Diagnose:
→ I: Bildgebende Verfahren:
→ 1) Röntgen: Der Schulter a.p. und tangential (Y-Aufnahme).
→ 2) CT: Bei Verdacht auf Collum- oder Glenoidfraktur ist ein CT indiziert.
→ II: EMG: Bei Verdacht auf eine Schädigung des N. suprascapularis, der den M. supra- und infraspinatus innerviert.
→ Therapie: Skapulafrakturen müssen nur sehr selten operativ behandelt werden, sind jedoch überwiegend Hinweis für ein schweres Thoraxtrauma. In bis zu 10% der Fälle sind Gefäß- und Nervendestruktionen nachweisbar.
→ I: Sofortmaßnahmen: Wichtige Sofortmaßnahmen sind u.a.:
→ 1) Analgesie mit Paracetamol in einer Dosis von 1g intravenös (evtl. auch Applikation von Morphin 2-5mg/i.v.).
→ 2) Bei offenen Frakturen ist eine Antibiotikaprophylaxe mit Cephalosporin (z.B. Zinacef 1,5g i.v.).
→ 3) Ruhigstellung der Schulter mittels Gilchrist-Bandage.
→ II: Konservative Therapie:
→ 1) Typ-A-Frakturen: (nach Euler) In der Regel konservativ durch ausreichende Schmerztherapie und Ruhigstellung mittels Gilchrist-/Desault-Verband über 7-10 Tage. Anschließend erfolgt eine frühfunktionelle Physiotherapie (z.B. Pendelbewegungen, passive Bewegungsübungen) über 6 Wochen. Ab der 8-12 Woche ist eine vollständige Bewegung wieder möglich.
→ 2) Typ-B-Frakturen: (nach Euler) Nicht dislozierte Fortsatzfrakturen können konservativ, dislozierte Frakturen werden mittels offener Osteosynthese (Rekonstruktionsplattte) behandelt.
→ 3) Typ-C-Frakturen: (nach Euler) Bei den Collumfrakturen unterscheidet man zwischen:
→ 4) Typ-D-Frakturen: (nach Euler) Hierbei empfiehlt sich eine offene anatomisch-korrekte Rekonstruktion mit anschließender Schrauben- oder Plattenfixation, um Reluxationen und eine posttraumatische Arthrose (= Omarthrose) zu vermeiden.
→ 5) Typ-E-Frakturen: (nach Euler) Werden meist operativ therapiert. Das Operationsverfahren richtet sich nach der Frakturart.
→ III: Operative Therapie: Skapulafrakturen werdenmur selten operativ behandelt. Operationtaktik ist eine Plattenosteosynthese mittels Rekonstruktionsplatten und/oder Schrauben. Wichtige Indikationen für diese Therapie sind u.a. (einige Beispiele):
→ 1) Stark dislozierte Glenoidfraktur (Reposition und Schraubenfixation).
→ 2) Große Gelenkpfannenfraktur (Schraubenfixation).
→ 3) Stark dislozierte Fortsatzfakturen (Zuggurtung, Verschraubung).
→ 4) Stark dislozierte und instabile Korpusfrakturen (Plattenosteosynthese).
→ Intra-/postoperative Komplikationen: Sind insbesondere:
→ I: Läsionen des N. suprascapularis und des N. axillaris
→ II: Posttraumatische Instabilität mit konsekutiver Bewegungseinschränkung und Arthrosebildung.
→ Prognose: Die Langzeitprognose stellt sich bei Korpus- und Collumfrakturen günstig dar und ist nach operativer Intervention eher ungünstig.