→ Definition: Das differenzierte Schilddrüsenkarzinom ist definiert als eine maligne, epitheliale Neoplasie, welche von den Thyreozyten der Schilddrüse ausgeht. Hierbei wird zwischen 2 Subtypen, dem papillären und follikulären Karzinom, unterschieden.

 

 Epidemiologie:

→ I: Das Schilddrüsenkarzinom ist die häufigste endokrine Neoplasie mit einer Inzidenz von 4/100000/Jahr (die Inzidenz hat insbesondere in der letzten Dekade weltweit deutlich zugenommen). Der Manifestationsgipfel liegt jenseits des 50. Lebensjahrs.

→ II: Bei der differenzierten Form sind Frauen 3 x häufiger als Männer betroffen.

→ 1) Follikuläres SD-Karzinom: (35% der Fälle) Vermehrtes Auftreten in Jodmangelgebieten mit hoher Struma-Inzidenz. Die Häufigkeit nimmt mit dem Alter deutlich zu.

→ 2) Papilläres SD-Karzinom: (50% der Fälle) Häufig in Gebieten mit normaler Jodversorgung. Kann in jedem Alter auftreten; betrifft vermehrt jüngere Patienten

→ III: Beim anaplastischen - und medullären Schilddrüsenkarzinom ist die Geschlechterverteilung gleich.

 

 Ätiologie: Die Pathogenese der differenzierten Schilddrüsenkarzinome ist nicht genau bekannt, jedoch erhöhen ionisierende Strahlungen das Erkrankungsrisiko drastisch. Risikofaktoren für die Entwicklung einer Maglinität aus einem Knoten sind nach der American-Association of Clinical Endocrinologists (= AACE) u.a. Bestrahlung des Kopfes oder Kehlkopfbestrahlung in der Vorgeschichte, positive Familienanamnese mit einem medullären Schilddrüsenkarzinom, eine MEN 2, ein fixierter derber Knoten, der ein schnelles Wachstum aufweist, männliches Geschlecht sowie Alter < 20. Lebensjahr oder > 70. Lebensjahr und nicht zuletzt Symptome wie vergrößerte Lymphknoten, Heiserkeit, Schmerzen, Dysphagie und Dyspnoe, etc. Weitere prädisponierende Faktoren sind insbesondere genetische Syndrome wie die familiäre Polyposis, das Cowden-Syndrom, Werner-Syndrom, etc.

 

→ Pathogenese: Im Vordergrund stehten zahlreiche molekulargenetische Veränderungen im Bereich der Onkogene und Tumorsupressorgene:

→ I: Follikuläres Schilddrüsenkarzinom: Sowohl beim follikulären Adenom als auch beim Karzinom lassen sich in 20-30% der Fälle Mutationen in der ras-Protoonkogenfamilie (H-ras, K-ras und N-ras) eruieren. Es wird in diesem Zusammenhang angenommen, dass das follikuläre Adenom ein frühes Phänomen der Tumorgenese darstellt.

→ II: Papilläres Schilddrüsenkarzinom: Im Mittelpunkt der Pathogenese steht die Aktivierung RET-PTC-Onkogens aufgrund einer Translokation des RET-Protoonkogens und des H4-Gens. Weitere molekulare Veränderungen des papillären Schilddrüsenkarzinoms wie trk-Rearrangement, Überexpression von ras-Onkogen-Produkten, etc. sind weniger spezifisch, weisen jedoch auf einen besonders aggressiven Charakter und eine rapide Tumorprogression hin.

1135 Grundlagen der primären Schilddrüsenmalignome

→ Pathohistologie:

→ I: Papilläres Schilddrüsenkarzinom: Pathomorphologisch lassen sich beim papillären Schilddrüsenkarzinom verschiedene Varianten unterscheiden:

→ 1) Papilläres Mikrokarzinom: Nach der WHO werden alle papillären SD-Karzinome, deren maximaler Durchmesser < 1cm ist, als Mirkokarzinome bezeichnet, unabhängig davon, ob der Tumor gekapselt ist oder nicht.

→ 2) Gekapseltes papilläres Karzinom: Dieser Karzinomtyp macht etwa 10% aller papillären Schilddrüsenkarzinome aus und wird komplett von einer Faserkapsel ummantelt.

→ 3) Follikuläre Variante: Des papillären Schilddrüsenkarzinom. Diese Form weist ein fast reines follikuläres Wachtumsmuster auf, und es bedarf beim Nachweis papillärer Strukturen (charakteristische Kernveränderungen sowie bevorzugte lymphogene Metastasierung) größter Sorgfalt. 

→ 4) Weitere Typen: Weitere pathomorphologische Varianten des papillären Schilddrüsenkarzinoms sind u.a.:

909 Pathomorphologische Varianten des papillären Schilddrüsenkarzinoms

→ II: Follikuläres Schilddrüsenkarzinom: Diese maligne Neoplasie hat ihren Ursprung im Follikelepithel der Schilddrüse und besitzt pathomorphologisch auch verschiedene Varianten, die sich z.T. in ihrer Prognose stark differenzieren.

910 Pathomorphologische Varianten des follikulären Schilddrüsenkarzinoms 

 

Klassifikation: Pathohistologische Einteilung der Schilddrüsenkarzinome: 

→ I: Differenziertes SD-Ca:

→ 1) Follikuläres SD-Ca: Das follikuläre SD-Karzinom macht 35% aller Malignome der SD aus und stellt somit die 2.-häufigste Karzinomart dar; es handelt sich zumeist um ein solitäres Karzinom und metastasiert frühzeitig hämatogen in Knochen und Lunge.

→ 2) Papilläres SD-Ca: Ist mit 50% das häufigste SD-Karzinom und metastasiert vorwiegend lymphogen in die regionären Lymphknoten, z.T. bevor der Primärtumor nachweisbar ist (Mikrokarzinom < 1cm, das lange Zeit asymptomatisch bleibt). Der Tumor tritt überwiegend multifokal auf und lässt sich gut mit einer 131Jod-Therapie behandeln.

908 Gegenüberstellung des papillären und follikulären Schilddrüsenkarzinoms

 II: Undifferenziertes SD-Ca: Das anaplastisches Schilddrüsenkarzinom stellt mit 5% der Fälle eine sehr seltene Erkrankung dar. Zudem nimmt es nicht am Jodumsatz teil, sodass eine 131Jod-Therapie ungeeignet ist.

→ III: C-Zell-Karzinom: (5%) Ist eine von den medullären C-Zellen ausgehende Neoplasie, die vermehrt Calcitonin produziert (Rezidivindikator).

 

Klinik: Lange Zeit asymptomatisch; erst im fortgeschrittenen Stadium manifestiert sich eine Symptomatik aufgrund eines infiltrativen Wachstums in die Nachbarorgane wie Trachea, Ösophagus, sowie Nervenbeteiligung. Klinische Zeichen sind u.a.:

→ I: Lokale Zeichen: Derber, höckriger Knoten, fixierte Haut, geschwollene nicht-schmerzhafte Lk im zervikalen und supraklavikulären Bereich.

→ II: Globusgefühl und Dysphagie,

→ III: Heiserkeit durch eine Recurrensparese,

→ IV: Inspiratorischer Stridor und Dyspnoe bei Befall der Trachea.

V: Horner-Syndrom: Selten, mit Miosis, Ptosis und Endophthalmus.

→ VI: Fernmetastasen betreffen besonders die Lunge und das Skelettsystem.

 

Diagnose:

→ I: Die Diagnose wird häufig bei der Abklärung einer nodulären Struma gestellt. 

→ II: Bestimmung des Thyreoglobulins (Tumormarker bei Rezidivabklärung, evtl. auch TPA = tissue-polypeptid-antigen)

→ III: Sonographie: Besonders verdächtig sind unregelmäßig begrenzte, echoarme Areale mit Mikrokalzifikationen. Weitere sonographische Malignitätsbefunde sind u.a.:  

→ 1) Kein Halo,

→ 2) Intranoduläre Vaskularisierung etc.

→ IV: Szintigraphie: Kalte Knoten, die nicht speichern.

→ V: Fernmetastasen: Zum Ausschluss Röntgen-Thorax, CT, Sono-Abdomen, Knochen-Szintigraphie.

461 TNM Klassifikation des Schilddrüsenkarzinoms

 

Klinisch-relevant: Ein szintigraphisch kalter SD-Knoten, der sonographisch nicht echofrei ist, ist immer tumorverdächtig. Folgende Untersuchungen sind hierbei obligat.

A) Feinnadelbiospie mit Aspirationszytologie ist in 90% wegweisend.

→ B) Bei negativem Befund und fortbestehendem Tumorverdacht; operative Tumorentfernung und nachfolgende histologische Untersuchung.

 

→ Differenzialdiagnose: Vom differenzierten Schilddrüsenkarzinom sind u.a. nachfolgende Erkrankungen abzugrenzen:

→ I: Zystische Schilddrüsenveränderungen: Einschließlich der Zystenblutungen.

→ II: Thyreoditis: Wie die Hashimoto-Thyreoiditis oder die subakute Thyreoiditis der Quervain.

→ III: Struma nodosa: (euthyreote Struma) Mit benignen, regressiven Knoten; die Abgrenzung ist z.T. sehr schwierig, sodass eine Thyreoidektomie erfolgen muss.

→ IV: Weitere Differenzialdiagnosen: Sind insbesondere:

→ 1) Lymphom der Schilddrüse sowie

→ 2) Metastasen extrathyreoidaler Malignome.

498 Differenziernh differenziertes  undifferenziertes und medulläres Karzinom

 

Therapie: Die genaue histologische Bestimmung des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms für die Behandlung von besonderer Bedeutung.

I: Operative Therapie:

→ 1) In den meisten Fällen ist eine radikale totale Thyreoidektomie mit Entfernung der Lymphknoten im zentralen Kompartiment indiziert. Der gleichzeitige, metastatische Befall der regionären Lymphknoten führt zu einer zusätzlichen chirurgischen Neck-Dissektion.

→ 2) Bei einem solitären, papillären Mikrokarzinom ohne Nachweis von Lymphknotenmetastasen kann die Hemithyreoidektomie eine kurative Therapie sein.

911 Schematische Darstellung der 3 zervikalen Lymphknoten Kompartimente 

II: Ablative Radiojodtherapie: In der 3.-4. postoperativen Woche erfolgt ein 131Jod-Ganzkörperscan zum Ausschluss/Nachweis von Thyreozytenresten und Metastasen; sind Metastasen eruierbar, sollte eine hochdosierte Radiojodtherapie in mehreren Fraktionen, bis kein Jod-speicherndes Gewebe mehr nachweisbar ist, durchgeführt werden.

III: Weitere Therapiemaßnahmen:

→ 1) Im Anschluss (Radiojodtherapie) ist eine hochdosierte Hormonlangzeittherapie mit Levothyroxin (150-300µg/d) zur Suppression von TSH, (um die wachstumsfördernde Wirkung von TSH auf evtl. Metastasen zu unterbinden) indiziert.

→ 2) Evtl. externe Radiatio als pallitative Therapie zur Reduktion von Tumorkomplikationen z.B. bei vehementen Schmerzen.

→ IV: Nachsorge: Kontrolluntersuchungen im Abstand von 6 Monaten sind obligat mit:

→ 1) Bestimmung des Thyreoglobulins (TG). Dieses wird vom normalen SD-Gewebe sowie von den Zellen des SD-Karzinoms gebildet. Durch die radikale Thyreoidektomie spricht ein Anstieg des TG für ein Tumorrezidiv bzw. Metastasen.

→ 2) Evtl. Thyreogobulin-Bestimmung nach Gabe von rekombinantem humanem TSH (rhTSH) zum Nachweis von Tumorrezidiven/Metastasen. 

→ 3) Bei Verdacht auf ein Rezidiv bzw. eine Metastase sollte immer ein 131Jod-Ganzkörperscan durchgeführt werden.

→ 4) Weitere Nachweisoptionen von Metastasen sind Röntgen-Thorax, CT, Ganzkörperskelett-Szintigraphie etc.

 

Prognose: Bei adäquater Therapie liegt die 5-Jahresüberlebenschance beim papillären Schilddrüsenkarzinom bei > 90% und hat von allen SD-Karzinomen die beste Prognose. Beim follikulären SD-Karzinom liegt sie bei 65%. Weitere wichtige Prognosefaktoren sind u.a.  Tumorgrößer, histologischer Typ, Ausmaß der extrathyreoidalen Invasion, Lymphknoten- und Fernmetastasen sowie das Lebensalter.

678 Prognosemerkmale der differenzierten Schilddrüsenkarzinome