→ Definition:
→ I: Als myasthene Krise bezeichnet man einen rasch progredienten Zustand einer generalisierten Muskelschwäche bei der:
→ 1) Eine Lähmung des Diaphragmas und der Interkostalmuskulatur zu einer akuten Ateminsuffizienz und
→ 2) Eine myasthene Pseudobulbärparalyse zur Gefahr des Verschluckens mit konsekutiver Aspiration führen kann.
→ II: Somit stellt die myasthene Krise eine neurologische Notfallsituation dar und bedarf immer einer intensivmedizinischen Behandlung.
→ Epidemiologie:
→ I: Ca. 20% der Myasthenie-Patienten entwickeln im weiteren Krankheitsverlauf mindestens eine akute krisenhafte Verschlechterung der Symptomatik.
→ II: Wiederum 75% der myasthenen Krisen treten in den ersten 2 Jahren nach Erkrankungsbeginn auf.
→ III: Vor allem Patienten mit Spätmanifestation sowie MuSK-AK positive Formen neigen zu rezidivierenden myasthenen Krisen.
→ Ätiologie: Wichtige triggernde Mechanismen, die eine myasthene Krise induzieren können sind insbesondere:
→ I: Grippale fieberhafte Infekte,
→ II: Hormonelle Veränderungen, Schwangerschaft und Entbindung.
→ III: Abruptes Absetzten einer immunsuppressiven Therapie.
→ IV: Hypokaliämie,
→ V: Unkritische Applikation von Medikamenten, die die neuromuskuläre Überleitung verschlechtern.
→ VI: Weitere Risikofaktoren: Sind unter anderem:
→ 1) Psychische Stressoren,
→ 2) Narkose und
→ 3) Schwere Operationen, etc.
→ Klinik: Die myasthene Krise entwickelt sich zumeist über Tage, seltener perakut innerhalb der ersten Jahre nach Diagnosestellung der Myasthenia gravis.
→ I: Progrediente Muskelschwäche mit Dyspnoe und tracheobronchialer Sekretstauung durch Beteiligung der Atemmuskulatur (Vitalkapazität bei Frauen < 1,2l und Männer < 1,5l).
→ II: Vegetative Begleiterscheinungen sind insbesondere Hyperhidrosis, Tachykardie, Mydriasis, Ptosis, blasse Haut etc.
→ Klinisch-relevant: Patienten mit einer sich entwickelnden Nachmuskulaturschwäche sowie Kau-, Schluck- und Atemstörungen sollten immer auf eine Intensivstation mit Intubations- und Beatmungsbereitschaft verlegt werden.
→ Diagnose: Zumeist ist bei den Patienten mit myasthener Krise die Grunderkrankung Myasthenia gravis bekannt; wichtige Untersuchungsverfahren zur Diagnosesicherung sind jedoch:
→ I: Tensilon-Test: Mit Applikation eines Acetylcholinesterase-Hemmers wie Edrophonium oder Neostigmin unter EKG-Kontrolle.
→ II: EMG: Nachweis eines Dekrements des Muskelantwortpotenzials durch elektrophysiologische Serienreizung (3Hz) von motorischen Nerven wie der N. accessorius oder N. axillaris.
→ III: AK-Bestimmung: Der Nachweis von Antikörpern (u.a. AChR-AK, MuSK-AK, anti Titin-AK) erfolgt zwar verzögert, ist jedoch für die Überwachung des Therapieeffektes und der langfristigen Therapieplanung von großer Bedeutung.
→ Differenzialdiagnose: Von der myasthenen Krise müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgrenzt werden:
→ I: Cholinerge Krise: Im Rahmen einer Überdosierung von Acethylcholinesterase-Hemmer kommt es zur nikotinergen Blockade der motorischen Endplatte. Ursache ist zumeist eine schwer einzustellende Myasthenie mit persisiterender oder progredienter Muskelschwäche, der mittels wiederholter Dosiserhöhung entgegengewirkt wird.
→ II: Insensitive Krise: Hierbei handelt es sich um eine vorübergehende Überempfindlichkeit der motorischen Endplatte für Acetylcholin aufgrund einer Degeneration durch eine Langzeittherapie mit einem Acetycholinesterase-Hemmer. Das klinische Bild ist geprägt durch einen Nebeneinander von Symptomen aus cholinerger - und myasthener Krise.
→ III: Weitere Erkrankungen: Weitere wichtige Differenzialdiagnosen sind u.a.:
→ 1) Lambert-Eaton-Syndrom,
→ 2) Guillain-Barre-Syndrom,
→ 3) Botulismus,
→ 4) Organophosphat-Intoxikation.
→ Therapie:
→ I: Allgemeinmaßnahmen: Die Beherrschung der myasthenen Krise bedarf immer einer intensivmedizinischen Behandlung. Wichtige Maßnahmen sind u.a.:
→ 1) Der nicht-intubationspflichtige Patient sollte bei bestehenden Schluckstörungen aufgrund der Aspirationsgefahr über eine Magensonde ernährt werden.
→ 2) Eine Intubation ist bei einer Vitalkapazität von 1l in Abhängigkeit von den Blutgasen (Abb.: Normwerte der Blutgasanalyse) obligat.
→ 3) Beseitigung der Ursachen für die Verschlechterung der myasthenen Symptomatik; hierzu gehören u.a. der Ausgleich einer Hypokaliämie, Absetzten myasthenie-unverträglicher Medikamente, Behandlung einer bestehenden Infektion (mit z.B. Cephalosporinen der 3. Generation), etc.
→ II: Medikamentöse Therapie:
→ 1) Initial Neostigmin-Bolus in einer Dosis von 0,5 mg, anschließend ist ein Neostigmin-Perfusor in einer Dosierung von 4-8-(max. 25)mg/d indiziert. Hierbei erfolgt eine Begleitmedikation mit Atropin zur Vermeidung muskarinischer Nebenwirkungen.
→ 2) Immunsuppresionstherapie mit Prednisolon in einer einschleichenden Dosierung 25mg/d (um eine Verschlechterung der Symptomatik bei zu hoher Initialdosis zu vermeiden) bis zu einer Zieldosis von 100-(1000)mg/d. Nach klinischer Stabilisierung kann auf Azathioprin umgestellt werden.
→ III: Weitere Therapiemaßnahmen sind insbesondere die:
→ 1) Plasmapherese,
→ 2) Immunadsorption sowie
→ 3) Die Therapie mit Immunglobulinen.
→ Prognose:
→ I: Die mittlere Dauer einer myasthenen Krise liegt in der Regel bei einer Woche und die Mortalitätsrate ist insbesondere bei rechtzeitiger Diagnosestellung sehr gering.
→ II: Bei besonders schweren Krankheitsverläufen, die z.B. mit einer ausgeprägten Infektion (z.B. Pneumonie) einhergehen, sind auch protrahierte Verläufe bekannt.