→ Definition: Beim Ganser-Syndrom handelt es sich um ein sehr seltenes psychiatrisches Störungsbild bei der insbesondere die Symptome des systematischen Vorbeiredens und Vorbeihandelns im Vordergrund stehen. Das Krankheitsbild fällt unter die dissoziativen Störungen. Charakteristischerweise findet man keine/kaum weitere schwerwiegende psychopathologische Störungen (z.B. weitere kognitive Symptome).
→ Ätiopathogenese:
→ I: Wichtige Risikofaktoren für die Entwicklung des Ganser-Syndroms sind massive psychische Stressoren (z.B. Gefängnissituation) sowie eine kindliche, läppische Affektlage bzw. infantile Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen.
→ II: Die Symptomatik tritt zumeist akut auf, ist meist nur von kurzer Dauer von wenigen Stunden bis einigen Tagen und im Anschluss wird häufig eine partielle bzw. komplette Amnesie für die Symptome beschrieben.
→ III: Es sind insbesondere junge Männer betroffen.
→ Klinisch-relevant: Man geht davon aus, dass es sich beim Ganser-Syndrom um eine dicht unter der Bewusstseinsschwelle ablaufende Wunsch- und Zweckreaktion handelt und es insbesondere in "gewinnbringenden" Situationen auftritt.
→ Klinik:
→ I: Charakteristische Leitsymptome sind das „haarscharfe“ Vorbeireden bzw. -handeln des Patienten. Beispiele hierfür sind u.a. 3+4 = 8 oder der Patient versucht, das Krankenzimmer durch das Fenster und nicht durch die Tür zu verlassen etc.
→ II: Hyperexpressive Gestik und Mimik, groteske Fehlhandlungen wie demonstratives Danebengreifen etc.
→ III: Daneben existieren weitere dissoziative Symptome wie:
→ 1) Unruhe, Gedächtnislücken, fluktuierende qualitative Bewusstseinsstörungen bis hin zu Dämmerzuständen.
→ 2) Im Anschluss lässt sich zumeist eine retrograde Amnesie über die Ganser-Episode eruieren, jedoch sind aber auch dissoziative Fugue-Zustände beschrieben.
→ 3) Des Weiteren können sich pseudoneurologische Phänomene wie Bewegungs-, Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen in Form von Hypästhesien, Anästhesie, Kribbelgefühl, aber auch Ataxie und evtl. Paresen/Hemiplegie manifestieren (entsprechen aber nicht den neurologischen Verteilungsmustern).
→ 4) Die Affektlage des Patienten ist häuig infantil und läppisch, kann aber auch einer schweren Depression ähneln.
→ 5) Auch treten akustische sowie visuelle Pseudohalluzinationen sowie pseudodemenzielle Symptome auf.
→ Diagnose:
→ I: Anamnese/Fremdanamnese:
→ 1) Männliches Geschlecht, plötzlicher Beginn, kurze Dauer und abruptes Ende,
→ 2) Häufiger Nachweis eines Schädel-Hirn-Traumas in der Vorgeschichte.
→ 3) Zumeist tritt das Krankheitsbild unter Haftbedingungen auf und es besteht eine partielle oder vollständige retrograde Amnesie über den Zeitraum.
→ 4) Klärung des sozialen Umfeldes, sowie Erfassung der Alkohol- und Medikamentenanamnese.
→ II: Labor: Zum Ausschluss von Intoxikationen (Drogenscreening).
→ III: Körperliche Untersuchung zum Ausschluss von internistischen Erkrankungen.
→ Differenzialdiagnose: Das Ganser-Syndrom muss insbesondere von nachfolgenden Erkrankungen abgegrenzt werden. Hierzu zählen:
→ I: Andere dissoziative Störungen und Konversionsstörungen.
→ II: Hysteriformes Verhalten bei der Schizophrenie oder Involutionspsychose.
→ II: Hirnorganische Erkrankungen: Wie Hirntumoren, Enzephalitiden, SHT, zerebrale Insulte, Blutungen aber auch MS etc.
→ III: Weitere psychiatrische Erkrankungen: Drogen- und Alkoholintoxikation, somatoforme Störungen, pseudodementielle Symptome bei Depression, Demenz sowie das Delir.
→ IV: Simulation.
→ Therapie: Die Therapie des Ganser-Syndroms stellt sich sehr schwierig dar.
→ I: Allgemeinmaßnahmen: Es sollte eine stationäre Aufnahme erfolgen, um den Patienten während der Episode zu schützen und beruhigen. Nach Abklingen der Symptomatik sollte eine adäquate Analyse der Auslösemechanismen und möglicher Konfliktsituationen stattfinden.
→ II: Medikamentöse Therapie: Bestehen begleitend Angstzustände ist eine kurzfristige Behandlung mit einem Benzodiazepin wie Lorazepam oder Alprazolam (in einer Dosis von 0,5-1mg) indiziert.