Definition: Bei den anhaltenden wahnhaften Störungen handelt es sich um eine Gruppe von Erkrankungen, bei denen ein langanhaltender Wahn das einzige/auffälligste klinische Zeichen darstellt. Charakteristikum ist die Entwicklung einzelner oder aufeinander aufbauender Wahnideen (= (chronischer) systematisierter Wahn), andere psychotische Symptome wie Halluzinationen und Ich-Störungen fehlen gänzlich. Wichtig ist diesbezüglich, dass die bestehende Symptomatik nicht einer organischen -, affektiven Störung oder einer Schizophrenie zugeordnet werden kann.

 

Epidemiologie: Die anhaltende wahnhafte Störung stellt ein sehr seltenes Erkrankungsbild dar und weist eine Lebenszeitprävalenz von 0,05-0,1% auf. Sie tritt meist nach dem 40. Lebensjahr auf, wobei Frauen häufiger als Männer betroffen sind (niedriger Bildungsstatus, geringe soziale Kompetenz).

 

Ätiologie:

→ I: Nicht genau bekannt. Bis heute existieren keine Anhalte für genetische und/oder neurobiologische Faktoren.

→ II: Vielmehr weisen Menschen mit Behinderung in der Wahrnehmung z.B. Blindheit, Taubheit, sowie z.B. Migranten aufgrund ihrer kulturellen/sozialen Entwurzelung ein erhöhtes Risiko auf.

 

Klinik: Die Kriterien für die anhaltende wahnhafte Störung ist nach ICD-10 wie folgt definiert.

I: Wahnideen, die in ihrem Inhalt jedoch im Vergleich zur Schizophrenie nicht so bizarr sind, sie erscheinen z.T. sogar verständlich und nachvollziehbar. 

II: Die Wahnideen sind häufig das einzige psychopathologische Kriterium.

III: Auch die anderen Kriterien einer Schizophrenie werden nicht erfüllt.

IV: Die Symptome müssen mindestens über einen Zeitraum von 3 Monaten persistieren.

V: Primäre oder sekundäre Hirnerkrankungen sowie durch psychotrope Substanzen hervorgerufene Störungen müssen ausgeschlossen werden.

 

Klassifikation: Bei den anhaltenden wahnhaften Störungen exisiteren spezifische (typische) Wahnideen; hierzu zählen insbesondere: 

→ I: Sensitiver Beziehungswahn: Der Patient glaubt, dass andere seine Laster sehen können, wodurch er sich beschämt und von den anderen nicht verstanden fühlt.

II: Capgras-Syndrom: Hierbei handelt es sich um ein seltenes Wahnsyndrom bei dem der Patient glaubt, dass nahestehende Personen durch einen Doppelgänger ersetzt würden und weist auf vermeintlich kleinste Unterschiede hin. Es kann auch als posttraumatische Störung oder im Rahmen einer wahnhaften Depression auftreten.

III: Fregoli-Wahn:  Der Betroffene geht davon aus, dass Familienmitglieder die Gestalt von Fremden angenommen hätten bzw. sich in einen anderen verwandelt hätten.

→ IV: Dermatozoenwahn: Der Patient hat die Überzeugung, dass er von kleinen Tierchen befallen ist und diese unter der Haut kriechen. Betrifft vorwiegend ältere Menschen.

→ VI: Weitere wichtige Wahnideen: Sind u.a.:

→ 1) Verfolgungs- und Eifersuchtswahn (z.B. Orthello-Syndrom: Sehr selten; es besteht die wahnhafte Vorstellung, dass der Partner untreu ist, Häufig leidet eine bestehende Ehe und geht häufig in die Brüche).

→ 2) Liebeswahn und Wahnideen bezüglich der Sexualität (= Erotomanie); betrifft häufig ledige Frauen mittleren Alters.

→ 3) Bedeutungs- und Größenwahn (= Megalomanie),

4) Hypochondrischer Wahn und dysmorphophober Wahn und nicht zuletzt die

→ 5) Querulantenwahn. 

 

  Komorbiditäten: Häufiger erkranken Patienten mit anhaltender wahnhafter Störung nach Beginn der Symptomatik an affektive Störungen insbsondere der depressiven Episode, aber auch an Panikstörungen.

 

→ Diagnose: Die DIagnose der wahnhaften Störung wird dann gesellt, wenn ein durch Wahnsymptome geprägte Krankheitsbild besteht, weitere psychotische Symptome (z.B. formale Denkstörungen, Ich-Erlebnisstörungen, Halluzinationen) aber nicht zu eruieren sind: 

 549 Diagnosekriterien der anhaltenden wahnhaften Störung nach ICD 10

 

Differenzialdiagnose:

→ I: Schizophrenie: Fehlende schizophrene Symptomatik mit bizarren Wahninhalten, Halluzinationen und Ich-Störungen.

II: Akute psychotische Störungen: Hierbei ist die Kranheitsdauer zu kurz.

758 Differenzierung der verschiedenen psychotischen Störungen

III: Affektive Störungen mit psychotischer Symptomatik. Die Wahninhalte treten nur in Begleitung mit  affektiven Symptomen auf.

IV: Paraniode Persönlichkeitsstörung: Hierbei besteht ein generelles Misstrauen gegenüber der Umwelt, jedoch fehlen Wahnideen.

V: Organische Psychosyndrome wie die degenerative Demenz, metabolische Enzephalopathie oder traumatische Hirnschädigungen.

 

Therapie:

→ I: Allgemein:  Eine Krankheitseinsicht fehlt (fremdmotiviert) meist, sodass sich ein Therapieversuch sehr schwierig gestaltet. Zweifel am Therapeuten führen nicht selten zum Therapieabbruch, sodass eine stabile und vertrauenswürdige Patienten-Therapeuten-Beziehung eine Grundvoraussetzung darstellt.

II: Medikamentöse Therapie: Die anhaltenden Wahnerkrankungen sind resistent (es besteht nicht selten die Gefahr der Fremdgefährdung) gegenüber den Antipsychotika. Evtl. kann eine Therapie mit einem atypischen Antipsychotikum wie Risperidon in niedriger Dosis versucht werden. Bei Chronifizierung sollte auf ein Depot-Präparat umgestellt werden. Hierfür gibt es keine offizielle Zulassung; es handelt sich um eine Off-Label-Therapie.

 III: Psychotherapie: Bei den anhaltenden wahnhaften Störungen hat sich eine supportive und/oder kognitive behaviorale Psychotherapie etabliert. Hierbei erscheint das Aufzeigen negativer, durch die Erkrankung induzierter Konsequenzen ein guter Ansatzpunkt und findet zumeist beim Patienten Akzeptanz. Auch sind Psychoedukation und das Miteinbeziehen von nahestehenden Bezugspersonen bzw. Angehörigen eine wichtige Säule der Therapie.

 

Verlauf/ Prognose:

→ I: Manifestiert sich meist nach dem 40. Lebensjahr mit schleichendem Beginn.

→ II: Die Wahnideen entwickeln sich aus überwertigen Ideen, die sich im weiteren Krankheitsverlauf zu einem systematisierten Wahn ausbilden können. 

 III: Die Betroffenen sind im Vergleich zu schizophrenen Patienten gut sozial und beruflich integriert.

 IV: Je akuter der Beginn und je jünger der Patient bei Erstmanifestation, umso günstiger die Prognose.