Definition: Die Tabak-Produkte kamen im Rahmen der Entdeckung der neuen Welt nach Mitteleuropa. Die psychotrop wirksame Substanz der Tabakpflanze ist das Nikotin, ein Tabakalkaloid, das überwiegend inhalativ aufgenommen wird.

 

Epidemiologie:

→ I: Nach Schätzungen rauchen ca. 15 Millionen Menschen in Deutschland, wobei der männliche Anteil bei 30,5% und der weibliche bei 21% liegt.

→ II: Die Nikotinabhängigkeit weist eine hohe Mortalität auf; so sterben in Deutschland ungefähr 100000-140000 Menschen an den Folgeerkrankungen des Tabakonsums. Hierzu zählen u.a.:

→ 1) Kardiovaskuläre Erkrankungen wie z.B. arterielle Hypertonie, Myokardinfarkt und pAVK, etc.,

→ 2) Krebserkrankungen insbesondere das Lungenkarzinom, aber auch Malignome im Bereich der Mundhöhle, des Rachens, Kehlkopfes, etc.

→ 3) Chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen, Lungenemphysem, COPD, etc.

 

Wirkungsmechanismus:

→ I: Nikotin wirkt dosisabhängig als Agonist an den nikotinergen Acetycholin-Rezeptoren und verursacht im ZNS eine adrenerge, cholinerge, dopaminerge und nicht zuletzt serotonerge Aktivierung.

→ II: In niedigeren Dosen hat es insbesondere einen antriebs- und leistungssteigernden sowie anregenden Effekt, in höheren Dosen führt es über die cholinerge Hemmung und ß-Endorphinfreisetzung zu einer Angstreduktion, Beruhigung, Entspannung und Muskelrelaxation.

 

Ätiopathogenese: Die Entstehung der Nikotinabhängigkeit ist vorwiegend von nachfolgenden Faktoren abhängig:

→ I: Lerntheoretische Aspekte:

→ 1) Im Sinne der klassischen Konditionierung wird ein spezifischer Schlüsselreiz z.B. Kneipe, abendliches Zusammensitzen mit Freunden über die Zeit an z.B. das Rauchen gekoppelt.

→ 2) Die psychotrope Wirkung des Tabaks mit somatischen Zeichen wie Entspannung, Stimmungsverbesserung, Konzentrationssteigerung, Unterdrückung der Nervosität, Anxiolyse und das Wegfallen von Entzugssymptomen, die durch das Nikotin hervorgerufen werden und als positive Verstärker fungieren, fördern den Zigarettenkonsum.

→ II: Biologische Aspekte: Nikotin aktiviert im ZNS das Belohnungssystem durch vermehrte Ausschüttung von Dopamin im mesolimbischen System und dem Nucleus accumbens. Erreicht wird dies auf Transmissionsebene über nikotinerge Acetylcholin-Rezeptoren.

→ III: Persönlicheitsstruktur: Hierbei spielen insbesondere die jugenliche Neugier, Peer-groups und das damit verbundene Gruppenzugehörigkeitsgefühl, sowie weitere Vorbilder (z.B. im Sinne des Modelllernens) eine bedeutende Rolle.

 

Komorbiditäten: Die Tabakabhängigkeit kann mit weiteren psychischen Störungen vergesellschaftet sein. Wichtig Erkrankungen sind u.a.:

→ I: Depression,

→ II: Alkohohl- und Drogenabhängigkeit und die

III: Schizophrenie.

 

Klinik:

→ I: Bedeutende Wirkungen des Nikotins sind neben Steigerung der psychomotorischen Leistungsfähigkeit, Stresstoleranz, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeit, die Reduktion der Anspannung, Ängstlichkeit, Aggressivität und des Appetits.

→ II: Zudem manifestieren sich u.a. eine Tachykardie, arterielle Hypertonie und eine Zunahme der Darmperistaltik.

→ III: Die Betroffenen konsumieren nicht selten 15-20 Zigaretten täglich; z.T. kann es aber auch sehr starken individuellen Schwankungen unterliegen.

→ IV: Nikotinentzugssyndrom: Die Symptomatik tritt zumeist innerhalb von wenigen Stunden bis maximal 24 Stunden nach abrupten Absetzten auf und hält in der Regel 1-4 Wochen selten über Monate an. Charakteristische Symptome des Nikotinentzugssyndroms sind u.a.:

→ 1) Innere Unruhe, ausgeprägtes Rauchverlangen (= Craving), Konzentrationsstörungen, Angst, gesteigerter  Appetit und Gewichtszunahme, aber auch Senkung des Blutdrucks und Pulses sowie orthostatische Dysregulation.

→ 2) Psychische Symptome: Dysphorie, depressiv Verstimmung (insbesondere bei Patienten mit positiver Eigenanamnese für Depressions- und Angsterkrankungen) und Schlafstörungen.

 

Nikotinintoxikation: Die tödliche Dosis bei Nikotin liegt bei ca. 40-60mg und wird durch die Inhalation nicht erreicht, kann aber versehentlich durch orale Aufnahme erreicht werden.

→ I: Initiale Symptome: Sind insbesondere Bauchschmerzen, Nausea, Diarrhoe, Hypersalivation, Kaltschweißigkeit, Tachykardie und Hypertonie.

→ II: Neuropsychiatrische Symptome: Hierzu gehören Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Benommenheit, Wahrnehmungsstörungen und Verwirrtheitszustände.

→ III: Bei schwersten Intoxikationen entwickeln sich zumeist tonisch-klonische Anfälle, eine Schocksymptomatik, Koma bis hin zum Atem- und Herzstillstand.

 

Diagnose:

→ I: Anamnese/klinische Untersuchung:

→ 1) Eigen- und evtl. Fremdanamnese bezüglich des täglichen Zigarettenkonsums.

→ 2) Bei der klinischen Untersuchung existieren typische Hinweiszeichen einer Nikotinabhängigkeit wie:

A) Foetor es ore evtl. überdeckt durch Bonbons,

B) Gelbverfärbung der Hände,

→ C) Vergröberte, vorgealterte Haut im Bereich des Gesichtes und Dekollete.

→ D) Möglicher Nachweis eines Raucherhustens, chronischen Bronchitis oder einer COPD.

→ II: Testpsychologische Verfahren:

→ 1) Zur Einschätzung des Schweregrades der Nikotinabhängigkeit hat sich der Fagerström-Test etabliert. Hierbei handelt es sich um ein Selbstbeurteilungsverfahren, mit insgesamt 6 Fragen, die ihren Schwerpunkt auf die Konsummenge, das Nikotinverlangen und die Abstinenzfähigkeit legen.

566 Fagerström Test zur Beurteilung der Nikotinabhängigkeit

→ 2) Beurteilung:

→ A) 0-2 Punkte: Sehr geringe Abhängigkeit,

→ B) 2-4 Punkte: Geringe Abhängigkeit.

→ C) 5 Punkte: Mittelschwere Abhängigkeit.

→ D) 6-7 Punkte: Schwere Abhängigkeit und

→ E) 8-10 Punkte: Sehr schwere Abhängigkeit.

→ III: Apparative Verfahren: Routinelabor, Röntgen-Thorax (mögliche Darstellung von Rundherden etc.), Dopplersonographie zur Beurteilung der Karotiden etc.

 

Therapie: Bei der Therapie der Nikotinabhängigkeit sollte eine Kombination aus verhaltenstherapeutischen und medikamentösen Behandlungsverfahren erfolgen.

→ I: Psychotherapie:

→ 1) Allgemein hat sich in der Abstinenz des Zigarettenkonsums die Punktschluss-Methode (= Rauchstopp) im Vergleich zur schrittweisen Reduktion als erfolgreicher erwiesen. Hierbei wird an einem genau festgelegten Tag das Rauchen abrupt beendet.

→ 2) Auch im Rahmen der ärztlichen Beratung kann eine Aufhörmotivation bestärkt werden. Diesbezüglich hat sich ein Beratungsalgorithmus (= 5 Rs) zur Verhaltensänderung etabliert:

567 Beratungsalgorithmus zur Verhaltensänderung bei Nikotinabhängigkeit

3) Verhaltenstherapie: Für die Nikotinabhängigkeit wurde ein spezielles Behandlungsverfahren mit Einzel- und Guppentherapie, die 6-10 Sitzungen umfassen, entwickelt. Die Methode beinhaltet nachfolgende Behandlungsansätze: 

→ A) Soziale Unterstützung,

→ B) Problemlösetraining,

→ C) Erlernen von Bewältigungsstrategien, insbesondere auch mit den Umgang des Craving.

→ D) Wichtige Behandlungswerkzeuge sind Selbsthilfetagebücher, Tagesprotokolle, kognitive Umstrukturierung durch Löschung von alten Verstärkung und Erlernen von neuen Verhaltensweisen.

→ 4) Weitere TherapieverfahrenSind z.B.:

→ A) Suggestive Methoden: Wie Auto- und Heterohypnose. Unter die Autohypnose fällt u.a. auch das autogene Training.

→ B) Bibliotherapie: Hierbei erlangt der Betroffene sowohl Motivation als auch weitere Informationen über sogenannte Patientenratgeber.

→ C) Akupunktur: Insbesondere ins Ohr. Dieses Verfahren besitzt jedoch keine wissenschaftliche Belege

II: Medikamentöse Therapie: Zur Therapie der Tabakabhängigkeit gehören insbesondere 3 pharmakologische Entwöhnungshilfen:

→ 1) Nikotinerersatzpräparate: Es erfolgt eine Nikotinsubstitution mittels Nikotinpflaster, -kaugummi, Nasenspray zur Reduktion des Craving und Aufrechterhaltung der Abstinenz (steigert die Abstinenzrate um das 1,5-2-fache). Die Nikotinersatztherapie sollte über mindestens 12 Wochen erfolgen.

→ 2) Bupropion: Bei dieser Substanz handelt es sich um ein noradrenerg und dopaminerg wirksames Antidepressivum, das die Wiederaufnahme von Noradrenalin und Dopamin hemmt. Mit einer Initialdosis von 150mg/d wird Bupropion nach 1 Woche auf eine Erhaltungsdosis von 300mg/d gesteigert und über einen Zeitintervall von 7-9 Wochen verabreicht. Das Präparat ist jedoch aufgrund der umfangreichen Nebenwirkungen Mittel der 2. Wahl.

→ 3) Vareniclin: Ist ein partieller Agonist an nikotinergen Acetylcholin-Rezeptoren. Einerseits hemmt es durch Antagonismus an nikotingergen Rezeptoren die angenehme Wirkung des konsumierten Nikotins, andererseits reduziert die Substanz durch agonistische Wirkung die Entzugssymptome. Vareniclin wird in einer Dosierung von 0,5-1,0mg/d über einen Zeitraum von 12 Wochen appliziert.

 

Prognose:

→ I: Bei der spontanen Rauchstopp-Methode kommt es in 10-15% der Fälle zur Abstinenz; diese liegt bei der systematischen Entwöhnungsbehandlung sogar bei 30-40%.

→ II: Die größten Zellschäden werden durch die im Tabakrauch befindlichen Substanzen verursacht, sodass es folglich zu einem massiven Anstieg des Tumorrisikos kommt.

568 Steigerungsrate des Tumorrisikos bei Rauchern

III: Der regelmäßige Zigarettenkonsum während der Schwangerschaft führt zur Entwicklungsverzögerung mit reduziertem Geburtsgewicht und Körpergröße und einer verminderten geistigen Reife; auch die Rate der Fehlgeburten ist deutlich erhöht.