Definition: Beim Lungenemphysem handelt es sich um eine abnorme und irreversible Erweiterung der lufthaltigen Räume distal der Bronchioli terminales aufgrund einer Destruktion der Alveolarsepten.

 

Epidemiologie: Die Inzidenz für die Entwicklungen eines Lungenemphysems liegt bei ca. 10% in der Allgemeinbevölkerung und tritt zumeist im Rahmen einer COPD auf.

 

Ätiopathogenese: Die Destruktion der Alveolarsepten beruht auf einem Ungleichgewicht zwischen den Proteasen (z.B. Elastasen) und Proteaseninhibitoren (z.B. Alpha1-Antitrypsin) im Lungenparenchym. Die Proteasen werden von den Neutrophilen zur Erregerabwehr eingesetzt und mit Hilfe der Proteaseninhibitoren, die in der Leber gebildet werden, neutralisiert, um eine Proteolyse des Lungenparenchyms zu verhindern. Dieses Gleichgewicht kann auf unterschiedliche Weise gestört werden:

→ I: Mangel an Proteaseninhibitoren aufgrund eines genetischen Defektes bei z.B. Alpha1-Antitrypsinmangel.

→ II: Inaktivierung der Proteaseinhibitoren durch Noxen wie z.B.: 

→ 1) Tabakrauchen im Zusammenhang mit einer COPD (häufigste Ursache),

→ 2) Aber auch die Staubexposition.

→ III: Verstärkte Proteasenfreisetzung im Rahmen von chronischen Entzündungsmechanismen z.B. bei chronischer Bronchitis, Mukoviszidose, etc.

 

Klassifikation: Das Lungenemphysem kann hinsichtlich seiner Histopathologie bzw. Morphologie klassifiziert werden in:

→ I: Generalisiertes Lungenemphysem: Dies wird nochmals unterteilt in:

1) Zentrilobuläres Emphysem: (= zentroazinär) Stellt die häufigste Form dar und hat ihren Ursprung im Bereich der Bronchioli respiratorii in den zentralen Partien der Lobuli oder Azini. Ursache ist zumeist eine chronische Bronchitis aufgrund von Zigarettenrauch, aber auch durch Inhalation von Industriegasen. Das zentrilobuläre Emphysem ist häufig mit einer Atemwegsobstruktion sowie Ventilationsverteilungsstörungen vergesellschaftet.

→ 2) Panlobuläres Emphysem: (= panazinär) Die Destruktionen sind diffus über die Lobuli und Azini verteilt ohne direkte Beziehung zu den Bronchioli respiratorii. Es wird insbesondere bei Patienten mit homozygotem Alpha-1-Antitrypsinmagel beobachtet.

776 Schematische Darstellung des zentrilobulären bzw panlobulären Emphysems

3) Eine weitere Form stellt das durch Cadmiuminhalation (Cadmiumoxid) induzierte Emphysem dar; schreitet der Lungenparenchymverlust schnell fort, spricht man von „Vanishing-lung“.

→ 4) Seniles Emphysem: Hierbei handelt es sich um eine in den peripheren Aziniabschnitten beginnende Ektasie, die in ein diskretes panazinäres Emphysem übergehen kann (wird jedoch heute nicht mehr verwendet, da das Alter per se nicht in eine Lungenemphysem führt).

→ II: Lokales Lungenemphysem: Auch diese Form wird nochmals unterteilt in:

→ 1) Bullöses Emphysem: Tituliert emphysematöse blasige Hohlräume in den Lungen mit einem Durchmesser von mindestens 1cm. Es ist häufig mit weiteren bronchopulmonalen Krankheiten assoziiert. Die Zunahme des Blasenvolumens kann zu einer mediastinalen Verlagerung oder Kompression des Lungenparenchyms führen.

2) Paraseptales Emphysem: Hier entwickeln sich blasige Veränderungen im Bereich von Grenzflächen der Lobuli im interstitiellen Bindegewebe und entlang der Pleura visceralis. Sie haben zumeist keine funktionelle Bedeutung, können jedoch einen Pneumothorax induzieren.

→ 3) Eine weitere Form der lokalisierten Form ist das einseitige Lungenemphysem, das sich insbesondere bei der kindlichen Bronchiolitis obliterans oder beim kongenitalen Emphysem (beim z.B. Swyer-James- oder McLeod Symdrom) manifestieren. Die charakteristischen Dilatationen und/oder Destruktionen findet man im Bereich eines Oberlappens.

→ III: Weitere Emphysemformen sind u.a.:

777 Weitere Formen des Lungenemphysems

 

Klinik: Das Lungenemphysem entwickelt sich schleichend, sodass initial die Symptomatik der chronischen Bronchitis im Vordergrund steht.

I: Abnahme der maximalen körperlichen Leistungsfähigkeit mit Belastungsdyspnoe.

→ II: Im weiteren Krankheitsverlauf kommt es zu zunehmenden Atemnot, eingeschränkten körperlichen Mobilität, Gewichtsverlust, Ruhedyspnoe bis hin zur Zyanose.

1006 Differenzialdiagnose Pink Puffer und Bue Bloater

→ III: Beim Lungenemphysem (und auch der COPD) können 2 Patiententypen unterschieden werden:

→ 1) Blue Bloater: Im Vordergrund der klinischen Symptomatik ist die ausgeprägte Zyanose trotz geringer Atemnot. Bei diesem Typ sind die größeren Atemwege nicht eingeengt, dagegen sind die Ventilation und Perfusion in den Alveolen durch Entzündungsprozesse und Schleimsekretion deutlich erschwert. Weitere Symptome sind Hypoxie, Hyperkapnie, Zyanose.

→ 2) Pink-Puffer: Diese Patienten leiden unter einer ausgeprägten Atemnot ohne Zyanose. Pathophysiologisch besteht eine massive Erhöhung des Atemwiderstandes durch Stenosierung der Bronchien (die kleineren peripheren Bronchien sowie die Bronchioli sind dagegen nicht oder nur wenig verengt), sodass die Ventilation bzw. Perfusion weitestgehend ungestört agiert.

778 Merkmale der COPD (Emphysem) Varianten

 

Komplikationen: Im Spätstadium können sich Zeichen einer Rechtsherzdekompensation aufgrund einer sekundären pulmonalarteriellen Hypertonie mit Halsvenenstauung, peripheren Ödemen und Ruhetachykardie.

 

Diagnose:

→ I: Anamnese/klinische Untersuchung:

→ 1) Inspektorisch kann sich ein fassförmiger Thorax mit horizontal verlaufenden Rippen, weiten Interkostalräumen, supraklavikulären Emphysemkissen und nicht zuletzt verminderter Brustumfangsänderung zwischen Inspirations- und Exspirationsbewegung manifestieren.

→ 2) Auskultation: Hypersonorer Klopfschall über allen Lungenfeldern, wenig verschiebliche Lungengrenzen, abgeschwächte vesikuläre Atemgeräusche, etc.

→ 3) Stimmfremitus: Vermindert bis abgeschwächt (Zeichen für die Leitfähigkeit des Gewebes im Thorax für niederfrequente Schwingungen bei 99).

→ II: Röntgen: Radiologische Befunde des Lungenephysems (nicht selten werden v.a. leichtere Formen des Lungenemphysems nicht diagnostiziert):

780 Radiologische Charakteristika eines Lungenemphysems

Da insbesondere auch im fortgeschrittenen Stadium des Lungenenphysems bei der häufigeren Form des "Pink-puffers" keine oder nur eine geringgradige pulmonale Hypertonie besteht, sind die zentralen Lungenarterien im Röntgen-Thorax häufig normal (oder nur geringgradig verbreitert).

III: Lungenfunktionstest: Beim Lungenemphysem findet sich lungenfunktionsanalytisch (Abb.: Messung der Lungenvolumina sowie wichtige Definitionen) u.a.:

1) Erhöhte totale Lungenkapazität (TLC) bei hohem Residualvolumen (RV); folglich auch eine deutlich erhöhter RV/TLC-Quotient.

→ 2) Die Flüsse MEF50 und MEF25 sind stark reduziert und die Diffusion eingeschränkt.

3) Besteht eine COPD finden zusätzlich Zeichen einer obstruktiven Ventilationsstörung mit Reduktion von FEV1.

781 Elektrophorese bei Alpha 1 Antitrypsin Mangel

IV: Labor:

→ 1) Laborchemisch ist auch immer an einen Alpha1-Antitrypsin-Mangel zu denken, insbesondere bei Lungenemphysem vor dem 50. Lebensjahr. Nachweis ist eine deutlich verminderte (bis fehlende) Alpha-1-Globulin-Fraktion in der Serum-Elektrophorese (siehe Abbildung).

→ 2) Kapilläre BGA:

779 Stadieneinteilung des Lungenemphysems anhand der BGA

V: Weitere Untersuchungen:

→ 1) EKG mit möglichen Zeichen einer Rechtsherzhypertrophie (EKG-Befund Herzhypertrophie).

→ 2) Echokardiographie mit möglichem Nachweis einer pulmonalen Hypertonie bzw. eines Cor pulmonale.

→ 3) HR-CT: (hochauflösende Computertomographie Schnittdicke 1-2mm) Sehr sensitive und zuverfässige Methode Apikal betontes inhomogenes oder homogen über die gesamte Lunge verteiltes Emphysem.

→ 4) Gegebenenfalls Venitlations-Perfusions-Szintigraphie.

 

Differenzialdiagnose: Vom Lungenemphysem müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:

→ I: Asthma bronchiale (akute Lungenüberblähung bei Asthma bronchiale kann mittels Spasmolysetest differenziert werden).

→ II: Bronchiektasien,

→ III: Pulmonale Hypertonie bzw. Cor pulmonale anderer Genese, etc.

880 Interpretation der Flussvolumenkurve bei den verschiedenen Lungenerkrankungen

 

Therapie:

→ I: Allgemeinmaßnahmen: Hier stehen Maßnahmen wie Ausschaltung exogener Noxen (Rauchverbot), antibiotische Behandlung möglicher Infekte, präventive Impfung gegen Pneumokokken und Influenzaviren oder die Substitution von Alpha1-Antitrypsin im Vordergrund.

782 Medikamentöse Behandlungsoptionen bei der COPD bzw. Lungenemphysem

→ II: Symtomatische Therapie:

→ 1) Physiotherapie: Mit dosiertem körperlichem Training, Atemgymnastik, Lippenbremse (hierdurch wird ein Atemwiderstand vorgeschaltet, um ein exspiratorischen Lungenkollaps zu vermeiden), etc.

→ 2) Medikamentöse Therapie: Abhängig von der Vortherapie und der klinischen Symptomatik nach dem Stufenschema mit kurz wirksamen Beta-2-Sympathomimetika, additiv Anticholinergika, Theophyllin und nicht zuletzt systemischen Glukokortikoiden (siehe COPD).

→ 3) Eine Sauerstoff-Langzeittherapie ist insbesondere bei chronisch therapierefraktärer Hypoxämie bzw. einem Ruhe PaO2 < 60mmHg indiziert (Die Durchführung erfolgt primär stationär über 16 Stunden pro Tag mit einer mittleren Sauerstoffdosis von 1-2l/min). Weitere Indikationen sind u.a.:

783 WIchtige Indikationen für eine Sauerstoff Langzeittherapie

→ 4) Bei bestehender Rechtsherzinsuffizienz (mit peripheren Ödemen) ist die Substitution eines Diuretikums (z.B. Furosemid) indiziert; ggf. erfolgt ein Aderlass bei Polyglobulie.

→ III: Chirurgische Therapie: Bei dieser therapeutischen Intervention existieren keine nationalen bzw. internationalen Leitlinien. Indikationen für eine chirurgischen Überprüfung sind vor allem:

→ 1) Therapierefraktärer Pneumothorax,

→ 2) Evtl. Bullektomie bei großen Emphysemblasen.

→ 3) Volumenreduzierende Operation bei schwerem diffusem Lungenemphysem mit Schwerpunkt in den oberen Abschnitten; alternativ bronchoskopisches Verfahren mit Implantation von z.B. Ventilen oder sogenannten „Coils“ (diese Coils krümmen die Atemwege und komprimieren das emphysematös veränderte Lungengewebe, um den weniger geschädigten Lungenabschnitten zu ermöglichen, effektiver zu fungieren).

→ 4) Ultima ratio stellt die Lungentransplantation dar.

 

Prognose:

→ I: Die Prognose ist auch immer von der Grunderkrankung und der Einstellung zum Zigarettenkonsum abhängig.

→ II: Im fortgeschrittenem Stadium ist die Prognose aber immer schlecht, sodass die mittlere Lebenserwartung bei Patienten mit respiratorischer Globalinsuffizienz mit oder ohne Rechtsherzdekompensation nur noch 3-4 Jahre beträgt (Cave: Patienten mit einer respiratorischen Globalinsuffizienz haben einer bessere Prognose als Patienten mit einer Partialinsuffizienz).