Definition:

→ I: Da Benzodiazepine eine große therapeutische Breite und eine geringe Toxizität aufweisen, manifestiert sich die Benzodiazepinvergiftung meist nur als Mischintoxikationen mit weiteren psychotropen Substanzen bzw. Alkohol oder bei schwerwiegenden Vorerkrankungen wie Myasthenia gravis, schwere obstruktive Lungenerkrankungen (COPD) etc.

→ II: Somit stellt eine alleinige Intoxikation mit Benzodiazepine ein sehr seltenes Krankheitsbild dar.

→ III: Ursache der Vergiftung sind wechselseitig potenzierende Wirkungseffekte, die zu einer vitalen Gefährdung führen können.

 

Ätiologie: Benzodiazepine stellen neben Nikotin und Alkohol das dritthäufigste missbräuchlich eingenommene Suchtmittel dar:

→ I: Meist im Zuge akzidentieller oder suizidaler Ereignisse.

→ II: Aber auch infolge von Mischintoxikationen (u.a. bei bestehender Benzodiazepinabhängigkeit) mit weiteren psychotropen Substanzen und Alkohol.

→ III: Selten bei älteren Patienten mit schwerer Nieren- und Leberinsuffizienz (Akumulation), bei chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen und Myasthenia gravis.

 

  Pathomechanismus: Ist eine potenzierende Hemmung GABA-abhängiger Chloridkanäle im ZNS.

 

Klinik:

→ I: Neurologisch: Verwaschene Sprache, Doppelbilder, Nystagmus, Koordinationsstörungen, Ataxie, Hyporeflexie, Areflexie, kognitive Defizite, anterograde Amnesie, Bewusstseinseintrübung, Stupor, Somnolenz bis hin zum Koma.

→ II: Kardio-pulmonal: Schwindel, Tachykardie, arterielle Hypotonie und Atemdepression insbesondere bei schwerer Intoxikation.

→ III: Weitere Symptome: Kopfschmerzen, Übelkeit und herabgesetzter Muskeltonus bis zur schweren Muskelschwäche.

 

Klinisch-relevant:

→ A) Insbesondere bei geriatrischen Patienten, die ein hirnorganische Vorschädigung aufweisen, besteht die Gefahr der Entwicklung einer paradoxen Reaktion mit Verwirrtheitszuständen, Halluzinationen und aggressiven bzw. autoaggressiven Verhaltensweisen; die Wahrscheinlichkeit nimmt mit der Höhe der Dosis deutlich zu.

B) Die (schwere) Benzodiazepin-Intoxikation ist durch das Auftreten eines klassischen Symptomtrias charakterisiert:

→ 1) Bewusstseinsstörungen,

→ 2) Erhaltene Vitalfunktionen und

→ 3) Das Fehlen neurologischer Ausfälle.

 

Diagnose:

→ I: Anamnese/Klinische Untersuchung: Bei bestehendem Bewusstsein sollte sowohl eine Eigenanamnese als auch Fremdanamnese zur Klärung psychiatrischer Vorerkrankungen (z.B. Depression, Suizidalität, Schizophrenie etc.) erfolgen. Des Weiteren muss auf klinische Zeichen wie verwaschene Sprache, Konzentrationsstörungen, kognitive Defizite, Koordinationsstörungen, unsicherer Gang (erhöhte Sturzgefahr), Hyporeflexie etc. geachtet werden.

→ II: Labor: Benzodiazepine können qualitativ im Urin (= toxikologisches Screening, Teststreifen) und quantitativ im Serum nachgewiesen werden.

→ III: Weitere Untersuchungen: Sind u.a. Blutdruckmessung, EKG und Sauerstoffsättigung.

 

Differenzialdiagnose: Von dieser müssen u.a. nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:

→ I: Alkoholintoxikation und Intoxikation durch andere psychotrope Substanzen.

→ II: Bewusstlosigkeit/ Koma: Hypoglykämie, Epilepsie, intrakranielle Blutungen, zerebrale Infarkte.

 

→ Therapie:

→ I: Allgemeinmaßnahmen: Im Vordergrund steht die Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen:

→ 1) Zur Kreislaufstabilisierung Infusionstherapie 500-1500ml (z.B. Ringer-Lösung).

→ 2) Ausreichende Oxygenierung mit Gabe von 4-8l/min Sauerstoff, evtl. Maskenbeatmung oder Intubation.

3) Induziertes Erbrechen, Magenspülung und anschließende Substitution von Aktiv-Kohle.

II: Medikamentöse Therapie:

→ 1) In seltenen Fällen kann die Applikation des Antidots, Flumazenil (= Anexate), indiziert sein. Es wird initial einschleichend eine Dosis von 0,2mg i.v. substituiert; bei ausbleibender Wirksamkeit wird die Gabe von 0,1mg im Abstand von 1min (bis zu einer Maximal-Dosis von 1mg (-2mg) wiederholt.

→ 2) Aufgrund der kurzen HZW von 1/2-1 Stunde kann sich im weiteren Behandlungsverlauf erneut eine Intoxikationssymptomatik manifestieren; in dieser Situation sollte eine nochmalige Flumazenil- bzw. eine Applikation von 0,3-0,4mg/h per Perfusor erfolgen.

 

Klinisch-relevant: Der Einsatz von Flumazenil steht unter enger Indikationsstellung, da es bei suchtigen Patienten zu schweren Entzugssymptomen und Krampfanfällen führen kann.

 

Wirkstoff: Flumazenil:

→ I: Allgemein:

→ 1) Bei Anexate handelt es sich um ein Benzodiazepin-Analoga, welches eine hohe Affinität zur Benzodiazepin-Bindungsstelle des GABA-A-Rezeptors aufweist.

2) Hierbei hat es keine antagonistische Wirkung, sondern verdrängt vielmehr kompetitiv das Benzodiazepin vom Rezeptor.

→ II: Indikation:

→ 1) Aufhebung der Benzodiazepinwirkung in der Anästhesie,

2) Behandlung der Benzodiazepinüberdosierung und -intoxikation.

→ III: Nebenwirkungen: Auftreten von innerer Unruhe, Angstzuständen bis hin zu schweren Entzugserscheinungen und Krampfanfällen.

→ IV: Kontraindikation: Sind vor allem die Epilepsie und Mischintoxikationen insbesondere auch mit trizyklischen Antdepressiva.