Definition: 

→ I: Bei der Trichotillomanie besteht ein Unvermögen, dem Drang zu widerstehen, sich Körperhaare auszureißen, mit der Folge eines sichtbaren Haarverlustes.

→ II: Vor dem Ausreißen der Haare besteht eine zunehmende Anspannung, danach folgt ein Gefühl der Entspannung und Befriedigung.

→ III: Die Trichotillomaie gehört neben dem pathologischen Glücksspiel, der Kleptomanie und Pyromanie zu den Impulskontrollstörungen (Sie auch Charakteristika der verschiedenen Impulskontrollstörungen).

 

Lokalisation: Zumeist sind die Haare des Kopfes, der Augenregion (Augenbraum, Wimpern) und des Bartes, seltener die Haare der Achsel-, Scham- und Perianalregion betroffen.

 

→ Ätiologie: Bei der Trichotillomanie handelt es sich um eine multifaktorielle Entwicklung. Hierzu gehören u.a.:  

→ I: Neurobiologische Faktoren: Es konnte eine Mutation im SLITRK-1-Gen mit Veränderungen im Serotonin-Rezpetor nachgewiesen werden.

→ II: Psychosoziale Faktoren: Bei einem Großteil der Frauen manifestieren sich psychische Tramata und Gewalterfahrungen wie psychische und physische Misshandlung, sexueller Missbrauch etc.

→ III: Lerntheoretisch: Das " Haarausreißen" kann bei traumatisierten Menschen eine Coping-Strategie darstellen, um Entspannung und Beruhigung zu erlangen.

 

Epidemiologie:

→ 1)  Die Prävalenz des pathologischen Haarausreißens liegt zwischen 0,5-2%. 

2) Es dient vorwiegend dem Abbau von Spannungen. 

3) Im Kindesalter gibt es 2 Manifestationsgipfel, zwischen dem 5.-8. Lebensjahr und um das 13. Lebensjahr; hierbei ist die Geschlechterverteilung gleich.

4) Im Erwachsenenalter sind Frauen deutlich häufigen als Männer betroffen.

 

Klinik:

→ I: Unfähigkeit, dem Verlagen, sich die Haare auszureißen, zu widerstehen mit der Folge des sichtbaren Haarverlustes.

II: Vor dem Ausreißen besteht ein intensives Spannungsgefühl, welches sich bei Nachgabe des Impulses reduziert.

III: Zusätzlich entwickelt sich ein Lust- und Euphoriegefühl.

IV: Meist sind die Haare des Kopfes und der Gesichtsregion betroffen.

V: Evtl. werden nach dem Herausreißen die Haarwurzeln inspiziert bzw. die Haare gegessen (Trichophagie).

→ VI: Nicht selten geht die Trichotillomanie mit sozialem Rückzugsverhalten einher.

 

→ Klinisch-relevant:

→ A)Trichobezoar: Stellt eine Kombination aus Haarausreißen und Trichophagie, nämlich das Essen von Haaren, dar. Da Haare unverdaulich sind bildet sich im Magen ein unterschiedlich großes Haarknäuel. Reicht dieses vom Magen bis in den Dünndarm spricht man von:

→ B) "Rapunzel-Syndrom": Klinisch können sich u.a : Chronische Diarrhoe, Steatorrhoe, Hypoproteinämie, Eisenmangelanämie,  Vitaminmangel, aber auch Komplikationen wie Ileus, Blutungen, Perforation, Peritonitis etc. manifestieren.

 

VI: Es besteht die Neigung, das Verhalten durch z.B. Tragen eines Kopftuches zu verheimlichen.

VII: Ist mit anderen Verhaltensstörungen wie Trichophagie, Kauen an den Nägeln assoziiert.

 

 Komorbiditäten: Ist häufig vergesellschaftet mit:

→ 1) Affektiven Störungen,

→ 2) Angststörungen ( z.B. Generalisierte Angststörungen, soziale Phobie),

→ 3) Zwangsstörungen,

→ 4) Posttraumatische Belastungsstörungen,

→ 5) Tic-Störungen und 

→ 6) Substanzenmissbrauch.

 

 

→ Diagnose:

→ I: Anamnese: Ausführliche Eigen- und Fremdanamnese;  Hier sollte neben der Kernsymptomatik auch mögliche Belastungssituationen, Trennungserlebnisse und Deprivationserfahrungen eruiert werden.

→ II: Klinische Untersuchung: Makroskopische Unterscheidung der Trichotillomanie von einer Alopecia areata bzw. Tinea capitis ( Entzündungszeichen).

→ III: Diagnosekriterien nach ICD-10 und DSM-IV:  

 

 

042 Diagnosekriterien der Trichotillomanie

 

 

→ Differenzieldiagnose: Von der Trichotillomanie abzugrenzen sind:

→ I: Haarausreißen infolge von Hauterkrankungen (Alopecia areata),

→ II: Trichtillomanie infolge von Wahn und Halluzinationen ( psychotische Störungen),

→ III: Regionaler Haarausfall als Nebenwirkung von Methylphenidat.

 

Therapie: 

→ I: Verhaltenstherapie: Hierunter fallen die Psychoedukation, Verbesserung der Selbstwahrnehmung und Selbstkontrolle sowie die Identifikation und anschließende Reduktion der Triggermechanismen.

→ II: Medikamentöse Therapie: Eine medikamentöse Behandlung mit einem SSRI oder trizyklischen Antidepressivum, wie Clomipramin, kann supportiv versucht werden.

→ III: Evtl. kann zusätzlich noch eine Soziotherapie indiziert sein.

 

 Verlauf: Zumeist wird ein fluktuierender Verlauf mit symptomfreien Intervallen beobachtet, aber auch eine chronische Verlaufsform ist selten möglich.