→ Definition:
→ I: Bei den Störungen der Impulskontrolle und abnormen Gewohnheiten handelt es sich um eine heterogene Gruppe von Störungen, bei denen es infolge von bestimmten unkontrollierbaren Impulse zu wiederholten Handlungen kommt.
→ II: Charakteristikum ist, dass das hieraus resultierende Verhalten die eigene Person und andere schädigt.
→ III: Nach ICD-10 gehören zu den Impulskontrollstörungen insbesondere:
→ 1) Pathologisches Stehlen,
→ 2) Pathologisches Spielen,
→ 3) Pathologische Brandstiftung und
→ 4) Die Trichotillomanie.
→ Klinisch-relevant: Nachfolgende Kriterien sind für die Diagnose der Impulskontrollstörung von großer Bedeutung:
→ Epidemiologie:
→ I: Bis heute existieren noch keine validen Daten über die Prävalenz der Impulskontrollstörung (es wird eine Prävalenz von 0,1-3,4% angenommen).
→ II: Die Impulskontrollstörungen manifestieren sich zumeist in der Adoleszenz, ausgenommen die Trichotillomanie, die schon im Kindesalter beginnt.
→ III: Die häufigste Impulskontrollstörung stellt das pathologische Spielen mit einer Häufigkeit von 1-3% dar. So liegt die Behandlungsbedürftigkeit von Glücksspielern in Deutschland bei ca. 100000, wobei insbesondere das männliche Geschlecht betroffen ist.
→ IV: Die anderen Impulskontrollstörungen treten deutlich seltener auf.
→ V: Vor allem die Kleptomanie und Trichotillomanie sind Störungen, die das weibliche Geschlecht betreffen.
→ Ätiopathogenese:
→ I: Die Entwicklung der Impulskontrollstörung beruht auf einer multifaktoriellen Genese, bei der neurobiologische und psychosoziale Faktoren einer große Bedeutung haben.
→ II: Psychosoziale Faktoren: Rezidivierende Traumatisierungserfahrungen, ein Erziehungsstil, bei dem Hemmungs- und Kontrollmechanismen unzureichend vermittelt wurden sowie familiäre Interaktionen, die durch Desorganisiertheit, Feindseligkeit und Gewalt geprägt sind, spielen eine zentrale Rolle bei der Genese von Impulskontrollstörungen,
→ III: Neurobiologische Faktoren: Hierzu zählen v.a.:
→ 1) Die verhaltensverstärkenden Mechanismen aktivieren/steigern das dopaminerge Belohnungssystem des Nucleus acumbens. Aber auch genetische Veränderungen mit Polymorphismen des serotoninergen, dopaminergen (D4-Rezeptoren) und noradrengen Systems gelten als wichtige Risikofaktoren..
→ 2) Des Weiteren werden Funktionsstörungen im Bereich der frontotemporalen Hirnregion diskutiert.
→ IV: Persönlichkeitsstruktur: Die Betroffenen neigen dazu, Reize zu suchen, um keine Langeweile entstehen zu lassen im Sinne des „Sensation-Seeking“.
→ Klinisch-relevant: Heutzutage wird bei den Impulskontrollstörungen ein enger Zusammenhang mit dem Belohnungssystem gesehen. Gestützt wird die Hypothese durch das „ Dopamine-Dysregulation-Syndrome“ unter dopaminerger Therapie bei Parkinson Patienten. Die Betroffenen entwickeln unter Dopamin-Applikation ein süchtiges Verhalten mit steigenden Dosen, sowie stereotype Verhaltensweisen wie Sammeln und Sortieren, aber auch Impulskontrollstörungen wie pathologisches Spielen, unkontrollierbares Einkaufen und Hypersexualität, etc.
→ Klinik:
→ I: Bei allen Formen der Impulskontrollstörung sind die Betroffenen nicht in der Lage, dem Handlungsimpuls trotz negativer psychosozialer Folgen Widerstand zu leisten; eine vernünftige Motivation für die Tat ist nicht zu erkennen.
→ II: Generell besteht vor der Handlung ein Gefühl der Erregung und wachsenden Anspannung.
→ III: Während der Tat oder direkt im Anschluss empfinden die Betroffenen Euphorie, Lust und Erleichterung, jedoch ist kein objektivierbarer Nutzen erkennbar.
→ IV: Nach der Tat weisen viele Patienten Reue und Schamgefühl auf.
→ Komorbiditäten: Impulskontrollstörungen sind häufig mit weiteren psychischen Störungen vergesellschaftet. Hierzu zählen vor allem:
→ I: Pathologisches Spielen: Ist häufig assoziiert mit:
→ 1) ADHS (= Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung),
→ 2) Affektive Störungen,
→ 3) Persönlichkeitsstörungen, insbesondere die dissoziale -, narzisstische - und emotional-instabile PS und nicht zuletzt die
→ 4) Substanzgebundene Suchterkrankungen.
→ II: Pyromanie: Es finden sich u.a.:
→ 1) ADHS,
→ 2) Neuologische Defizite,
→ 3) Lernschwierigkeiten etc.
→ III: Kleptomanie: Sie sind insbesondere mit:
→ 1) Depressive Störungen,
→ 2) Essstörungen, insbesondere die Bulimia nervosa,
→ 3) Angststörungen und
→ 4) Persönlichkeitsstörungen assoziiert.
→ IV: Trichotillomanie: Hierbei findet man häufig weitere psychische Störungen wie:
→ 1) Zwangsstörungen,
→ 2) Angststörungen,
→ 3) Affektive Störungen,
→ 4) Essstörungen, etc.
→ Diagnose:
→ I: Bei der Diagnosestellung der Impulskontrollstörung steht gerade bei der Eigenanamnese der charakteristische Ablauf der Impulshandlung im Vordergrund. Hierbei ist vor allem auf:
→ 1) Gefühle vor der Handlung (zunehmende Erregung und Anspannung, fehlendes Motiv).
→ 2) Während bzw. direkt im Anschluss an die Tat (z.B. Euphorie, Lust, Erleichterung, Spannungsabbau) sowie
→ 3) Den nicht-erkennbaren Nutzen aus der Handlung und die anschließende Reue und Scham zu achten.
→ II: Des Weiteren stehen die Auslösemechanismen (z.B. mögliche Stresssituationen) des psychopathologischen Verhaltens und die psychosoziale Situation des Betroffenen im Fokus.
→ Differenzialdiagnose: Die Impulskontrollstörung muss zum einen von vorsätzlichen Verhaltensweisen (z.B. Diebstahl zur eigenen Bereicherung) und weiteren psychiatrischen Erkrankungen, die mit dem Symptom der Impulskontrollstörung einhergehen, abgegrenzt werden:
→ I: Demenz und weitere organische Störungen, die mit Verwirrtheitszuständen assoziiert sind (Diebstahl, da das Bezahlen vergessen wurde).
→ II: Schizophrenie: Brandstiftung aufgrund von Wahnideen oder akustischen Halluzinationen.
→ III: Manie: Exzessives Spielen im Rahmen einer manischen Episode.
→ IV: Zwangsstörungen: Sie werden als primär unangenehm empfunden.
→ Therapie: Im Vordergrund der Behandlung von Impulskontrollstörungen stehen vor allem die:
→ I: Kognitive Verhaltenstherapie: Mit nachfolgenden Methoden:
→ 1) Verhaltenstherapie im Sinne der kognitiven Umstruktuierung (A.T. Beck).
→ 2) Erlernen von Stimuluskontrolle, Stressbewältigungsstrategien.
→ 4) Training sozialer Kompetenz, aber auch Behandlungsinterventionen wie
→ 5) Systemische Desensibilisierung und Expositionstherapie.
→ 6) Eine weitere wichtige Rollen spielen die Psychoedukation (bei der die Betroffenen über die Psychopathologie aufgeklärt werden), Soziotherapie (durch Miteinbeziehung der Angehörigen, Partnern, aber auch Banken und Schuldnerberater) und die Selbsthilfegruppen.
→ Klinisch-relevant: Bei der Spielsucht erfolgt die Behandlung in Anlehnung an die Suchttherapie (= Behandlungsstrategien der Sucht) mit dem Ziel der vollständigen Abstinenz. Ihre Behandlungsstrategie beruht auf 3 Säulen, nämlich der
→ A) Kontakt- und Motivationsphase,
→ B) Eigentlichen Entwöhnungs- und schließlich der
→ C) Nachsorgephase.
→ II: Medikamentöse Therapie: (Bedingt wirksam):
→ 1) Sie werden v.a. unterstützend zur Psychotherapie eingesetzt, bedürfen aber einer deutlich höheren Dosierung und längeren Behandlungsdauer als bei der depressiven Episode. Typisch sind insbesondere Antidepressiva vom SSRI-Typ wie Citalopram oder Paroxetin etabliert.
→ 2) Clomipramin, (evtl. Lithium, Phasenprophylaktikum) ein trizyklisches Antidepressivum, hat sich bei der Behandlung der Spielsucht als wirksam gezeigt und kann auch als Pharmakon bei der Trichotillomanie appliziert werden.
→ Prognose:
→ I: Insgesamt weisen die Impulskontrollstörungen einen chronifizierten Verlauf auf.
→ II: Gerade das pathologische Spielen und die Kleptomanie haben Tendenzen zur Persistenz.
→ III: Die Pyromanie zeigt eher einen episodischen Verlauf mit symptomfreien Intervallen über eine längere Zeit auf.