Definition: 

→ I: Pathologisches Spielen zählt zu den Impulskontrollstörungen und stellt repetitive Episoden des Glücksspielens dar, die so stark dominieren, dass das Leben der Betroffenen in sozialer, zwischenmenschlicher, beruflicher und wirtschaftlicher Hinsicht vehement beeinträchtigt ist.

II:  Zu den Glücksspielen werden, u.a Lotto, Roulette, Spielautomaten, Videospiele (z.B. World of Warcraft), Internetspiele etc. zugeordnet.

→ III: Charakteristischerweise steht die Stimulation, weniger der Gewinn im Vordergrund.

→ Klinisch-relevant: Charakteristika der verschiedenen Impulskontrollstörungen: 

170 Charakteristika der verschiedenen Impulskontrollstörungen

 Epidemiologie:

→ I: Pathologisches Glücksspiel ist die häufigste Impulskontrollstörung (hierzu gehört zudem noch die Pyromanie, Kleptomanie und Trichotillomanie).

→ II: In den westlichen Ländern liegt die Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung bei 0,4-4%, wobei Männer mit 70-80% der Fälle deutlich häufiger betroffen sind als Frauen.

→ III: Typischerweise manifestiert sich die Erkrankung während der Adoleszenz zwischen dem 18.-30. Lj.  

→ Ätiologie: Die Ursache ist noch nicht genau bekannt, jedoch geht man von einem multifaktoriellen Geschehen aus. Hierzu zählen u.a.:

→ I: Lerntheoretische Faktoren: Zwanghaftes Spielen wirkt durch passagere Gewinnerlebnisse und Steigerung des Selbstwertgefühls als positiver Verstärker.

→ II: Psychodynamische Faktoren: Beinhalten die narzisstische Ausschaltung der Über-Ich-Instanz bzw. Ich-Entlastung durch Regression.

→ III: Psychosoziale Faktoren: Belastende Ereignisse und Krisensituationen wie Scheidung, Tod einer wichtigen Bezugsperson etc. können als Auslöser fungieren. 

→ Klinisch-relevant:  Pathologisches Automaten- und Computerspielen ist vor allem bei jüngeren Patienten aus der sozialen Unterschicht infolge eines negativen Vaterbildes bzw. einer  "Broken-home" Situation nachweisbar, während pathologisches Roulettespielen häufiger bei Patienten, mittleren Alters und zur Mittelschicht gehörig auftritt.

→ IV: Persönlichkeitsfaktoren: Gerade Persönlichkeitszüge wie Affektlabilität, verminderte Frustrationstoleranz, Reizhunger, Narzissmus, aber auch Selbstunsicherheit und Depressivität sind mit Störungen der Impulskontrolle assoziiert.  

→ V: Neurobiologische Faktoren: Bei Patienten mit Impulskontrollstörung ist sowohl ein Dopamindefizit im limbischen System, als auch ein Serotonin- im Bereich des Mittelhirns (der Raphekerne und der Pons) nachweisbar.

→ Klinisch-relevant:

→ 1) Impulskontrollstörungen können auch im Zuge der Parkinsontherapie durch Applikation eines Dopaminagonisten, wie L-Dopa, hervorgerufen werden.

→ 2) Risikofaktoren, die u.a. die Entwicklung des pathologischen Spielens triggern, sind:

→ A) Junge Männer,

→ B) Spielsüchtige Angehörige,

→ C) Cluster B Persönlichkeitsstörungen (Borderline -, histrionische -, narzisstische - und die antisoziale PS).

 Klinik:

→ I: Unfähigkeit, dem wiederholten Spieldrang zu widerstehen. 

 II: Beim Glücksspiel entstehen rausch-ähnliche Euphoriezustände, sowie ein gesteigertes Selbstwertgefühl; sie stellen positive Verstärker dar. Gleichzeitg hemmt das Spielen negative Emotionen (= negativer Verstärker).

→ III: Im weiteren Krankheitsverlauf kommt es zum Kontrollverlust mit Zunahme der Spielfrequenz und Einsatz großerer Geldsummen, um einen Kick zu erlangen.

→ IV: Trotz des finanziellen Ruins wird weitergespielt und nicht selten kommt es im Zuge der Geldbeschaffung zu kriminellen Handlungen.

→ V: Des Weiteren manifestieren sich private und berufliche Probleme ( z.B. Verschuldung, Vernachlässigung der Familie, der sozialen Kontakte und des Berufes).

→ Klassifikation: Das pathologische Glücksspiel verläuft in 3 Phasen:

→ I: Stadium 1: (= Positives Anfangsstadium) Initial wird zumeist in der Freizeit gespielt; die Risikobereitschaft nimmt zu, bei Gewinn erzeugt es Euphorie und steigert das Selbstwertgefühl.

→ II: Stadium 2:  (= Kritisches Gewöhnungsstadium) Im weiteren Krankheitsverlust nimmt die Spielfrequenz und der Einsatz zu, der Bezug zum Geld jedoch verringert sich zunehmend. Es manifestieren sich soziale, berufliche und familiäre Konsequenzen, jedoch besteht noch eine Restkontrolle.

→ III: Stadium 3: (= Suchtstadium) Bei den Betroffenen kommt es zu Straftaten zur Geldbeschaffung, die Kontrolle ist vollständig verloren; im Vordergrund steht die Stimmungsstimulation nicht der Geldgewinn. Es kommt u.a. zum Verlust des Arbeitsplatzes, Zerbrechen der Partnerschaft, sowie zur inneren Unruhe, Reizbarkeit und Depressivität ( Entzugserscheinungen). 

 Merke: Das Glücksspielen wird so lange wie möglich verheimlicht.

 Komorbiditäten: Häufig findet man zusätzlich:

→ 1) Persönlichkeitsstörungen wie die dissozialenarzisstische- oder Borderline-Persönlichkeitsstörung.

→ 2) Affektive Störungen

→ 3) Substanzenmissbrauch und Abhängigkeiten (z.B. Alkoholabhängigkeit),

→ 4) Zudem besteht bei den Patienten eine erhöhte Suizidalität,

5) Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom.

→ Diagnose:

→ I: Eigen- und Fremdanamnese mit Exploration wichtiger Diagnosekriterien wie: 

→ 1) Mehr als 2 Glücksspielepisoden in einem Jahr,

→ 2) Fortsetzten des Glücksspiels, obwohl kein Gewinn erfolgt,

→ 3) Schwer kontrollierbarer Drang zu spielen,

→ 4) Ständige gedankliche Beschäftigung mit dem Glücksspiel,  

→ 5) Manifester subjektiver Leidensdruck.

→  II: Psychologisches Testverfahren: SOGS = South-Oaks-Gambling-Screen: Es handelt sich um 20 Items, die mit Ja oder Nein beantwortet werden. Wichtige Kernitems sind u.a.:

→ 1) Spielen Sie mehr als Sie beabsichtigen,

→ 2) Bestanden Spielprobleme in der Familie,

→ 3) Haben die Spielfrequenz und der Geldeinsatz mit der Zeit zugenommen,

→ 4) Treten während des Spielens Schuldgefühle auf,

→ 5) Sind Sie nicht in der Lage, das Spiel zu beenden (Kontrollverlust),

→ 6) Haben Freunde und Bekannte das Spielen schon einmal kritisiert.

038 Diagnosekriterien des pathologische Glücksspiels nach ICD 10

→ Differenzialdiagnose: Vom pathologischen Glücksspiel sind vor allem folgende Krankheitsbilder abzugrenzen:

→ I: Enthemmung bei beginnender Demenz,

→ II: Exzessives Spielen als Symptom einer manischen Störung oder einer Schizophrenie.

  Verlauf: Die Erkrankung beginnt in zumeist in der frühen/mittleren Adoleszenz (zwischen 20.-40.Lj.) und verläuft unbehandelt häufig chronisch mit vielen Rückfällen.

 Therapie:

 → I: Psychotherapie:

→ 1) Kognitive Verhaltenstherapie: Psychoeduktion, Identifikation der auslösenden Stimuli, Erlernen der StimuluskontrolleExpositionverfahrensystemische Desensibilisierung, Training sozialer KompetenzProblemlösetraining, kognitive Umstrukturierung und Aufbau von Alternativ-Verhalten.

→ 2) Soziotherapie: Miteinbeziehung der Angehörigen des Partners, aber auch der Banken und Schuldnerberater sowie Einbindung in Selbsthilfegruppen wie die " Anonymen Spieler" etc.

→ II: Medikamentöse Therapie:

→ 1) Supportiv und oder bei begleitender Depressivität können Antidepressiva wie SSRI in höherer Dosierung oder das trizyklische Antidepressivum, Clomipramin, substituiert wernden.

→  2) Zur Rückfallprophylaxe kann eine medikamentöse Behandlung mit Lithium (Plasmaspiegel < 1mmol/l) oder Valproat versucht werden.