Definition: Unter dem Raynaud-Syndrom versteht man scharf begrenzte, anfallsartig auftretende, schmerzhafte jedoch reversible Vasospasmen der Fingerarterien (bzw. evtl. Zehenarterien) mit konsekutiver Ischämie.

Epidemiologie:

→ I: Das Raynaud-Syndrom tritt mit einer Inzidenz von 3% auf, wobei die primär idiopathische Form mit > 50% der Fälle häufiger ist.

II: Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer (F : M = 5 : 1); der Manifestationsgipfel der primären Form liegt zwischen dem 20.-40. Lebensjahr.

 

Klassifikation: Hinsichtlich des Entstehungsmechanismus unterscheidet man zwischen einem:

→ I: Primären Raynaud-Syndrom: Hierbei fehlt eine zugrundeliegende Erkrankung. Typischerweise tritt es symmetrisch auf (häufig sind der 2.-5. Finger betroffen) wird meist durch Kälte, psychischen Stress oder mechanische Reize z.B. Presslufthammer ausgelöst und betrifft vorwiegend junge Frauen (= idiopathisches Raynaud-Syndrom) und

→ II: Sekundären Raynaud-Syndrom: Es handelt sich um einen asymmetrischen Befall infolge organisch bedingter Gefäßveränderungen/Veränderung der Fließgeschwindigkeit bei unterschiedlichen Grunderkrankungen (häufig sind zusätzlich trophische Hautveränderungen nachweisbar). Beispiele hierfür das sekundäre Raynaud-Syndrom sind u.a.:

736 Klinische Unterscheidung des primären bzw. sekundären Raynaud Syndroms

 

Ätiologie: Des sekundären Raynaud-Syndroms sind u.a.:

I: Kollagenosen: Sklerodermie, CREST-Syndrom, SLE, Sharp-Syndrom.

→ II: Vaskulitis: Morbus Winiwarter-Buerger.

→ III: Traumatisch: Vibrationstraumen z.B. durch langjähriges Arbeiten mit einem Presslufthammer.

→ IV: Hämatologische Erkrankungen: Polycythaemia vera, essenzielle Thrombozythämie, Kryoglobulinämie, Kälteagglutinine (Plamozytom, Morbus Waldenström).

→ V: Neurologische Erkrankungen: Wie Störungen der autonomen Innervation z.B. beim apoplektischen Insult oder bei peripheren neurologischen Erkrankungen wie die radikulären Syndrome, Plexusirritationen oder periphere Nervenschädigungen.

→ VI: Weitere Erkrankungen: Embolien unterschiedlicher Genese wie z.B. im Rahmen einer Thrombophilie (z.B. Antiphospholipid-Syndrom, Faktor-V-Leiden-Mutation, etc.), periphere arterielle Verschlusskrankheit. 

VI: Medikamentös-induziert: ß-Blocker, Ergotamin, Zystostatika (z.B. Cisplatin).

 

Pathogenese: Bei der idiopathischen Form geht man davon aus, dass ein erhöhter Symphatikotonus eine übersteigerte Reaktivität der Gefäße auf bestimmte Reize (Kälte), gerade im Bereich der Akren, verursacht. Folge ist eine überschießende Vasokonstriktion der Arteriolen, die zu einer Blässe der betroffenen Bereiche führt. Eine venöse Paralyse ruft eine Stase des sauerstoffarmen Blutes hervor, die sich durch die anschließende Zyanose manifestiert. Die nachfolgende Rötung der Haut wird durch eine reaktive Hyperämie infolge arteriolärer Vasodilatation hervorgerufen.

 

Klinik:

→ I: Tritt anfallsartig auf, getriggert durch spezifische Reize und verläuft charakteristischerweise in 3 Phasen (= Tricolore-Phänomen):

→ 1) Phase 1: Blässe durch Vasospasmus meist begleitet von Sensibilitätsstörungen, Taubheitsgefühl oder Parästhesien.

→ 2) Phase 2: Infolge einer venösen Paralyse bildet sich eine zyanotische Verfärbung der Akren aus (= Akrozyanose).

→ 3) Phase 3: Reaktive Hyperämie mit ausgeprägt schmerzhafter Rotfärbung der Haut.

→ II: Es sind unter Aussparung des Daumen die Finger 2-5 betroffen.

→ III: Beim sekundären Raynaud-Syndrom bestehen zusätzlich meist trophische Hautveränderungen und/oder Nekrosen.

IV: Manifestiert sich das Phänomen nur an einem Finger spricht man von einem Digitus mortuus.

816 Schematische Darstellung der Phasen des Raynaud Syndroms

 

Diagnose:

→ I: Primäre Form:

→ 1) Anamnese: Symmetrischer Befall, spezifische Auslösesituation (z.B. psychischer Stress), Persistenz der Symptomatik über > 2 Jahre, ohne Nachweis einer zugrundeliegenden Erkrankung.

→ 2) Kälteprovokationstest: Hierbei werden die Hände über 3min in Eiswasser gelegt mit dem Ziel, einen Vasospasmus auszulösen.

II: Sekundäre Form:

→ 1) Labor: Bestimmung der Entzündungsparameter, der Autoantikörper (ANA und anti-DNS-AK bei SLE, Anti-SCL-70 bei Sklerodermie, Anti-U1RNP beim Sharp-Syndrom, ANCA und Rheumafaktoren), Eiweiß- und Immunelektropherese.

→ 2) Untersuchungen:

→ A) Beim Allen-Test handelt sich um ein Testverfahren zur Überprüfung der Durchblutung im Versorgungsgebiet der A. radialis und ulnaris.

→ B) Kapillarmikroskopie: Mit Nachweis einer verminderten Anzahl an Kapillaren und Ausbildung von Megakapillaren bei der Sklerodermie sowie geschlungenen Büschel-Kapillaren beim SLE.

737 Differenzierung der Kollagenosen

 

→ Differenzialdiagnose: Vom Raynaud-Syndrom müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:

→ I: Akrozyanose mit schmerzloser bläuliche Verfärbung der Akren.

→ II: Embolien im Sinne eines akuten Arterienverschlusses.

→ III: Periphere arterielle Verschlusskrankheit,

→ IV: Im Rahmen einer Beta-Blocker-Therapie (gerade unselektive) kann es zu einer ähnlichen Symptomatik kommen.

 

  Therapie: Beim sekundären Raynaud-Syndrom steht die Therapie der Grunderkrankung (immunsuppressive Therapie bei Kollagenosen, Zytostatikatherapie bei hämatologischen Erkrankungen) im Vordergrund.

→ I: Allgemeinmaßnahmen: Bei der primären Form sollte ein ausreichender Kälteschutz der Akren (z.B. Handschuhe) erfolgen, zudem Vermeiden von Risikofaktoren wie Nikotin, endogenen Stress, Beta-Blockern, etc. Das lokale Aufbringen einer Nitroglyzerin-Salbe kann über die vasodilatatorische Wirkung die Symptomatik verbessern.

→ II: Medikamentös:

→ 1) Kurzwirksamer Kalzium-Antagonist wie Nifedipin in einer Dosis von 3x 10mg/d.

→ 2) ACE-Hemmer wie Captopril in einer Dosis von 3x 25mg/d.

→ 3) Alternativ AT1-Antagonist wie Lorsartan in einer Dosis von 50mg-100mg/d.

→ 4) Beta-Blocker und Ergotamin sind bei der Therapie des Raynaud-Syndroms absolut kontraindiziert.

1186 Therapiestrategien beim primären bzw. sekundärem Raynaud Syndrom

 

Prognose:

→ I: Beim sekundären Raynaud-Syndrom wird die Prognose durch die zugrundeliegende Erkrankung bestimmt.

→ II: Die idiopathische Form kann zwar sehr belastend sein, verursacht jedoch meist keine Langzeitkomplikationen.