Definition: Unter einem Status epilepticus versteht man einen lang anhaltenden (kontinuierlichen) Anfall oder die rezidivierende Abfolge von Anfällen (Epilepsie allgemein), ohne vollständige klinische oder enzephalographische Remission. Beim Status generalisierte Anfälle erlangt der Patient das Bewusstsein nicht, währenddessen der Staus fokaler Anfälle zumeist ohne Bewusstseinsverlust einhergeht.

 

Epidemiologie:

→ I: Die Inzidenz des Status epilepticus schwankt zwischen 20-30/100000 Einwohnern pro Jahr (3-8% aller Anfallskranken entwickeln einen Status epilepticus).

→ II: Es existieren hierbei zwei Manifestationsgipfel, im 1. Lebensjahr sowie im höheren Lebensalter (> 60. Lebensjahr).

 

Klassifikation: Bei dem Status kontinuierlicher generalisierter Anfälle manifestiert sich eine Mindestdauer von > 5min. und bei den fokalen Anfällen bzw. Absencen wird wiederum eine Mindestdauer von > 20-30min. erwartet. Des Weiteren unterscheidet man beim Status epilepticus:

→ I: Grand-mal-Status: Wird auch als Status generalisierter tonisch-klonischer Anfälle bezeichnet und ist immer ein neurologischer Notfall.

→ II: Status komplexer fokaler Anfälle (= fokaler nonkonvulsiver Status epilepticus) und Status einfacher fokaler Anfälle (= Epilepsia parietalis continua),

→ III: Absencen-Status (= Petit-mal-Status) sowie

→ IV: Der sogenannte subtile Status epilepticus.

34 Wichtige Subtypen des Status epilepticus

 

Ätiopathogenese:

→ I: Status epileptici treten häufig im Rahmen schwerer akuter Läsionen oder Erkrankungen des Gehirns auf, wobei insbesondere die Progression der Grunderkrankung mit der Letalitätsrate einhergeht. Prognostisch günstig ist ein Status epilepticus bei bestehender Epilepsie zumeist infolge einer Noncompliance.

→ II: Vor allem beim Grand-mal-Status sind insbesondere nachfolgende Ursachen in absteigender Häufigkeit eruierbar:

→ 1) Absinken des Antikonvulsivaspiegels,

→ 2) Chronische ZNS-Erkrankungen, insbesondere zerebrovaskuläre Erkrankungen und Läsionen.

→ 3) Metabolische Störungen.

→ 4) Alkoholintoxikation und -entzug sowie Medikamenten-/Drogenintoxikation und -entzug.

5) Hypoxische Hirnschädigung,

→ 6) Zerebrale Infektionen wie Meningitis und Enzephalitis und nicht zuletzt

→ 7) Allgemein Tumoren und Schädel-Hirn-Trauma, etc.

→ III: Pathophysiologie: Pathophysiologisch zeigt sich insbesondere auch beim Status epilepticus ein Versagen der GABAergen Inhibition bei gleichzeitiger Dysregulation der glutamatergen Exzitation mit exzessiver Freisetzung exzitatorischer Aminosäuren und konsekutivem Ca2+-Einstrom in die Neuronen. Die Folge ist eine Nervenzellschädigung insbesondere im Bereich des Neokortex, Thalamus und Hippocampus. Des Weiteren führt dieser zerebrale Hypermetabolismus (um 200-300%) zu einer Zunahme des zerebralen Blutflusses (infolge einer Erweiterung der Hirngefäße) mit Gefahr der Entwicklung eines Hirnödems. Wichtige systemische Auswirkungen des Status epilepticus sind u.a.:

→ 1) Exzessive Muskelarbeit mit Gefahr von Stauchungsfrakturen der Wirbelsäule (durch tonische Anspannung der Rückenmuskulatur), Gelenkluxation, aber auch metabolische Azidose, Laktatazidose, Hyperthermie, CK-Anstieg und evtl. Rhabdomyolyse, insbesondere durch akutes Nierenversagen und Elektrolytverschiebungen (v.a. Hyperkaliämie und Hyponatriämie).

→ 2) Ventilationsstörungen mit repiratorischer Azidose, aber auch Hypoxie.

→ 3) Massive Katecholaminausschüttung mit hypertensiven Krisen, Herzrhythmusstörungen, akute Herzinsuffizienz bis hin zum akuten Herzversagen, aber auch pulmonale Hypertension und neurogenes Lungenödem.

→ 4) Des Weiteren Capillary-Leak-Syndrom, disseminierte intravasale Koagulopathie bis hin zum Multiorganversagen.

 

Klinik: Kennzeichnend für den Status epilepticus sind bei der fokalen Form motorische Entäußerungen, die länger als 20-30min. bzw. beim Grand-mal-Status > 5min bestehen oder dichtes Aufeinanderfolgen von Grand-mal-Anfällen aufweisen, ohne dass der Patient zwischenzeitlich das Bewusstsein erlangt (diese Form stellt immer eine akute lebensbedrohliche Situation dar).

→ I: Insbesondere der Grand-mal-Status verläuft in 4 Stadien:

35 Wichtige Stadien des Status epilepticus

→ II: Krankheitsverlauf: Je länger ein Status epilepticus besteht, desto schwieriger die Behandlung und umso größer die Wahrscheinlichkeit neuronaler Schäden und weiterer systemischer Komplikationen (ischämische und metabolische Störungen des Gehirns mit den Folgen eines Hirnödems).

 

Diagnose: Bei jedem Status epilepticus insbesondere, wenn beim Patienten keine Epilepsie bekannt ist, sind neben der Akuttherapie auch die Diagnostik von großer Bedeutung (der Grand-mal-Status stellt immer eine Notfallsituation dar und bedarf einer sofortigen Therapie). Zu den diagnostischen Maßnahmen zählen insbesondere:

→ I: Labor: Mit Blutbild, BSG, CRP, Elektrolyte, Glukose, CK, Leberenzyme, Schilddrüsenhormonen, Blutgasanalyse, toxikologisches Screening, Liquoruntersuchung (eine Leukozytose, leichte Pleozytose und Laktaterhöhung kann durch eine Grand-mal-Status bedingt sein), etc.

→ II: Bildgebung:

→ 1) Notfall cCT, falls unauffällig, MRT zum Ausschluss struktureller Hirnveränderungen.

→ 2) EEG: Zur Diagnosestellung und bei Therapieversagen zur Differenzialdiagnose (z.B. psychogene Anfälle).

→ III: Internistische Diagnostik.

 

Klinisch-relevant: Vor allem der nonkonvulsive Status-epilepticus (mit ungewöhnlicher Aspontanität und psychomotorischer Verlangsamung) bei multimorbiden Patienten ist schwierig zu diagnostizieren und bedarf immer eines EEGs.

 

Differenzialdiagnose: Vom Status epilepticus müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:

→ I: Psychogener Anfall.

→ II: Lance-Adams-Syndrom: Hierbei kommt es aufgrund einer zerebralen Hypoxie zu kortikalen Myoklonien.

 

Therapie: Gerade der Grand-mal-Status erfordert aufgrund der hohen Morbidität und Letalität ein rasches und stringentes Therapievorgehen um den Status epielepticus frühzeitig zu durchbrechen (auch die Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung ist sekundär zwingend notwendig); die Behandlung des Status epilepticus erfolgt immer auf einer speziellen Überwachungs- oder Intensivstation.

→ I: Prähospitalphase: Hierbei steht der Einsatz von Benzodiazepinen insbesondere Lorazepam (am wirksamsten) i.v., aber auch zur i.m.-, intranasalen - oder bukkalen Applikation zur Verfügung. Weitere Maßnahmen sind u.a.:

→ 1) Anlage eines intravenösen Zugangs und Gabe einer Glukoselösung (40% 60ml) bei Hypoglykämie; ansonsten wird eine Vollelektrolytlösung (isotone Kochsalz oder Ringerlösung) verabreicht; besteht eine äthyltoxische Genese ist Thiamin (100mg) obligat.

2) Herz-Kreislauf-Monitoring durch Pulsoxymetrie sowie Sauerstoffinsufflation, evtl. aber auch Intubation und Beatmung.

→ 3) Weitere Maßnahmen sind Azidose- und Hirnödembehandlung.

II: Medikamentöse Therapie: Im Mittelpunkt der Akuttherapie steht die parenterale Substitution von Antiepileptika. Grundsätzlich steht die Gabe von Benzodiazepinen am Anfang der Behandlung. Anschließend erfolgt die Empfehlung abhängig vom Epilepsietyp und möglichen Komorbiditäten.

→ 1) Bei idiopathischen Epilepsien mit generalisierten Anfälle wird Valproat und

→ 2) Bei symptomatischen Epilepsien Phenytoin, Phenobarbital oder Valproat verabreicht.

→ 3) Stufentherapie: Des Grand-mal-Status weist ein enges Zeitfenster auf und beinhaltet nachfolgende Stufen:

36 Stufentherapie des Status epilepticus

→ III: Therapie weiterer Statusformen:

→ 1) Absencen-Status: Ist primär nicht lebensbedrohlich und die Status-Durchbrechung dient insbesondere der Wiederherstellung der Handlungskontrolle und Vermeidung chronischer Folgeschäden. Es erfolgt die Gabe von Clonazepam i.v. oder Valproat unter EEG-Kontrolle und führt sehr häufig zur schnellen Unterbrechung; anschließend wird Valproat als Dauermedikation empfohlen (denn der Absencen-Status kann auch mal in einen Grand-mal-Anfall übergehen).

2) Auch der fokale Status epilepticus ist primär zumeist nicht lebensbedrohlich und die Behandlung erfolgt primär ähnlich dem generalisierten Status mit Applikation eines Benzodiazepins i.v. (Diazepam 10-20mg i..v. Lorazepam 2mg i.v. Clonazepam 1-2 mg i.v. oder oral, Midazolam 0,2mg/kg i.m.; evtl. aber auch bukkal oder oral). Trotzdem sollte auch bei dieser Statusform eine frühzeitige Verabreichung stattfinden.

→ IV: Bei Pharmakoresistenz muss insbesondere die Diagnose, die Dosierung des Antiepileptikums (zu niedrige Startdosis) bzw. die Wahl des Medikaments hinterfragt werden. Aber auch eine Progredienz der Grunderkrankung oder eine nicht erkannte Grunderkrankung können den Status epilepticus bestärken.

 

Klinisch-relevant:

→ A) Bei 75% der Patienten wird der Status epilepticus durch Medikamente der ersten Stufe, bei 15% durch Substanzen der 2. und 3. Stufe und die verbleibenden 10% durch einer Narkose unterbrochen bzw. behandelt (pathophysiologisch zeigt sich ein Versagen der GABAergen neuronalen Inhibition).

→ B) Nach Durchbrechung des generalisierten bzw. fokalen Status epilepticus steht anschließend der Beginn einer langfristigen antiepileptischen Prophylaxe bzw. bei vorbehandelten Patienten eine deutliche Anpassung der Medikation im Vordergrund.

 

Prognose: Insbesondere die Letalität des Grand-mal-Status ist abhängig von der Ursache. Tritt er im Rahmen einer chronischen Epilepsie auf liegt die Letalität bei 4%. Ist der Status jedoch eine Folge einer akuten Ursache (z.B. Enzephalitis, metabolische Funktionsstörung wie Hypoglykämie) ist mit einer Letalität von 20% zu rechnen. Gerade bei älteren Menschen mit Komorbiditäten (pulmonale -, Herzkreislauferkrankungen, etc) ist die Letalität mit 50% sehr hoch.