Definition: Beim Delirium tremens handelt es sich um eine Störung des Bewusstseins, der Wahrnehmung und Kognitionen, aber auch der Psychomotorik und des Affektes. Es stellt eine relativ häufige, neuropsychiatrische sowie vital-bedrohliche Notfallsituation infolge einer chronischen Alkoholabhängigkeit (= Komplikation zumeist aufgrund eines Alkoholentzugs) dar.

 

Epidemiologie: Das Alkoholdelir tritt in 5-15% der Fälle bei Patienten mit chronischer Alkoholabhängigkeit auf; entwickelt sich meist aus einem Alkoholentzugssyndrom heraus infolge akuter Erkrankungen oder Operationen.

 

Pathogenese: Pathophysiologisch zeigt sich eine gesteigerte Aktivität des serotonergen - und glutamatergen Systems, bei gleichzeitig verminderter GABAerger Hemmung. Des Weiteren wird eine exzessive Dopaminsekretion sowie ein ausgeprägte Entgleisung des Wasser- und Elektrolythaushaltes infolge einer vermehrten Ausschüttung des atrialen natriuretischen Peptides vermutet.

 

Klassifikation: Man unterscheidet 2 Formen des Delirium tremens:

→ I: Kontinuitätsdelir: Dieses entsteht aus der Kontinuität des Trinkens heraus; seltenere Form.

II: Alkoholentzugsdelir: Es kann sich ca. 1-3 Tage nach dem Alkoholentzug entwickeln und weist zumeist eine Dauer 3-5 bis maximal 20 Tage auf.

 

Klinik:

→ I: Prodromi: Häufig besteht ein Prodromalstadium mit innerer Unruhe, gelegentlich Erregtheit, Tremor, Schreckhaftigkeit, Angst und Schlaflosigkeit.

II: Vollbild: (= Delirium tremens) Charakteristische Symptome hierbei sind Bewusstseinsstörungen mit Verwirrtheitszuständen, Desorientierung (zeitlich, örtlich, situativ) und Personenverkennung, aber auch optische Halluzinationen (kleine, sich schnell-bewegende, weiße Mäuse), illusionäre Verkennung, Akoasmen, paranoides Erleben. Weitere Symptombereiche umfassen: 

1) Psychomotorik: Innere Unruhe, Agitiertheit, Schlafstörungen sowie Nesteln und Herumsuchen.

2) Erhöhtes Suggestibilität: Vorlesen von einem weißen Blatt. 

3) Vegetative Symptome: Mit Hyperhidrosis, Tachykardie, arterieller Hypertonie, Fieber, aber auch Übelkeit, Erbrechen und Diarrhoe.

4) Neurologische Symptome: Starker, grobschlägiger Tremor, Krampfanfälle, insbesondere Grand-Mal-Anfälle.

→ III: Das Alkoholdelir kann in unterschiedlicher Schwere verlaufen vom unvollständigen Delir (= Prädelir) mit nur einzelnen Symptomen aus den 3 nachfolgenden Symptomkategorien bis hin zum vollständigen Delir mit Symptomen aus allen 3 Kategorien.

→ 1) Prädelir: Charakteristisch hierfür sind u.a. abendliche Halluzinationen, flüchtig vegetative Symptome mit Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen, Schwitzen und morgendlicher Tremor. Das unvollständige Delir besteht zumeist nur für wenige Tage (ausnahmsweise Wochen) und kann in ein vollständiges Delir übergehen. Es kann aber auch unter adäquater Therapie oder erneuter Alkoholzufuhr abklingen.

→ 2) Delir: Der Krankheitsverlauf des vollständigen Delirs ist durch psychomotorische Erregung, psychotisches Erleben und vegetative Fehlregulation gekennzeichnet und kann nicht mehr durch erneute Alkoholaufnahme unterbrochen werden.

715 Die 3 Kategorien der klinischen Symptomatik des Alkoholdelirs

 

 → Komplikationen: Wichtige und z.T schwerwiegende Komplikationen des Delirium tremens sind insbesondere Elektrolytentgleisungen, Herzrhythmusstörungen bis hin zum Kreislaufschock, Rhabdomylyse, akutes Nierenversagen sowie die zentrale pontine Myelinolyse, die sich v.a. aufgrund eines zu rasches Ausgleichen einer Hyponatriämie entwickelt. 

 

→ Klinisch-relevant:

→ A) In 50% der Fälle beginnt ein Alkoholdelir initial mit einem epileptischen Krampfanfall.

→ B) Folgezustände des Alkoholdelirs können das Korsakow-Syndrom oder eine Wernicke-Enzephalopathie sein.

 

→ Diagnose:

→ I: Anamnese/klinische Untersuchung: Hierbei ist vor allem auch die Fremdanamnese von großer Bedeutung. Des Weiteren erfolgt die Beurteilung der somatischen Funktion.

→ II: Vitalparameter: Erfassung von Puls, Blutdruck in den ersten 12 Stunden jede Stunde, anschließend während weiterer 12 Stunden alle 2 Stunden und schließlich in den darauffolgenden 2-3 Tagen alle 4 Stunden.

→ III: Laborchemische Parameter: Bestimmung von Blutzucker, der Elektrolyte (Na+, K+, Ca2+, etc.), Kreatinin, yGT, der hepatischen Transaminasen (GOT, GPT), des Quick-Wertes, Blutbildes (MCV) sowie der Serumkonzentration des "Carbohydrate-Deficient-Transferrin" (= CDT) und nicht zuletzt der Schilddrüsenhormone.

 

→ Differenzialdiagnose: Von dem Alkoholdelir müssen insbesondere nachfolgende Erkrankungen abgegrenzt werden:

→ I: Im Rahmen von weiteren Drogen oder Medikamenten wie:

→ 1) Medikamentendelir insbesondere beim persistierenden Gebrauch von Sedativa (insbesondere Benzodiazepinen).

→ 2) Medikamentennebenwirkungen können ein Delir vortäuschen und sind bei einer Vielzahl von Pharmaka möglich; hierzu zählen u.a L-Dopa, weitere Parkinson-Mittel, cholinerg wirkende Antidementiva und nicht zuletzt der bei der Myasthenia gravis eingesetzte Cholinesterase-Hemmer, Pyridostigmin.

→ 3) Delirante Syndrome bei Opiatentzug, die insbesondere durch Angst, Schlaflosigkeit, Craving mit quälenden vegetativen Symptomen charakterisiert sind. 

→ II: Sinnestäuschungen im Rahmen der Schizophrenie oder weiterer psychotischer Störungen oder aber auch organische Sinnestäuschungen infolge entzündlicher bzw. neoplastischer Prozesse im Gehirn.

→ III: Alkoholhalluzinose und nicht zuletzt

→ IV: Schwere bakterielle oder virale Meningoenzephalitiden, aber auch metabolische Störungen wie die hepatische Enzephalopathie bieten nicht selten das klinische Bild eines deliranten Syndrom.

 673 Differenzialdiagnostische Merkmale des Alkoholdelirs bzw. der Alkoholhalluzinose

 

→ Therapie: Beim Alkoholdelir handelt es sich um eine neuropsychiatrische Notfallsituation, die immer einer intensivmedizinischen Überwachung bedarf.

→ I: Allgemeine Maßnahmen: Kontrolle der Vitalfunktionen sowie des Wasser und Elektrolyhaushaltes.

→ II: Medikamentöse Therapie:

→ 1) Hochdosierte Substitution von Vitamin B1 (= Thiamin). Glukosereiche Infusionen führen zu einem gesteigerten Vitamin-B1-Verbrauch mit konsekutiver Gefahr der Entwicklug einer Wernicke-Enzephalopathie.

→ 2) Mittel der Wahl ist das Clomethiazol (Distraneurin 2-4 Kapseln alle 4 Stunden bis maximal 24 Kapseln pro Tag, da die Substanz atemdepressiv wirkt und die Bronchialsekretion steigert) bzw. ein Benzodiazepin (z.B. Diazepam 4x 10mg/d). Bei psychotischen Symptomen kann eine Kombinationstherapie mit einem Antipsychotikum wie z.B. Haloperidol (5-15mg/d) erfolgen.

→ 3) Bei bekannter Anfallsneigung kann Carbamazepin am 1. Tag 2x 200mg/d, ab dem 2. Tag 2x 400mg/d über eine Woche verabreicht werden. Durch Dosisreduktion um 100mg/d wird das Pharmakon ausgeschlichen.

 

→ Prognose: Das Delirium tremens kann in bis zu 25% der Fälle unbehandelt zum Tode führen.