Definition: Bei der Mitralinsuffizienz handelt es sich um eine akute oder chronische Schlussunfähigkeit der Mitralklappe durch morphologische Veränderungen der Segel, des Anulus, der Chordae tendineae oder der Papillarmuskeln (Abb.: Ventilebene des Herzens). Folge ist eine systolische Regurgitation des Blutes vom linken Ventrikel in das Atrium. Die Mitralklappeninsuffizienz ist nach der Aortenstenose der zweithäufigste Klappenfehler.

 

Ätiologie: Nach dem Entstehungsmechanismus unterscheidet man bei der Mitralklappeninsuffizienz zwischen einer:

 → I: Primären Form: (= organischen Form) Sie betreffen die Herzklappe und werden u.a. verusacht durch:

→ 1) Verkalkung der Klappensegel bei älteren Patienten,

→ 2) Degenerative Veränderungen im Rahmen von Bindegewebserkrankungen wie bei Ehlers-Danlos-Syndrom oder Marfan-Syndrom.

→ 3) Ruptur oder Elongation der Papillarmuskel oder Chordae tendineae nach Myokardinkfarkt, bei Mitralklappenprolaps etc.

→ 4) Weitere Ursachen: Sind z.B: Zustand nach Mitralklappen-Valvuloplastie, rheumatische und/oder bakterielle Endokarditis.

→ II: Sekundäre Form: (= funktionelle Insuffizienz) Hierbei entwickelt sich eine Mitralklappeninsuffizienz bei primär anatomisch-morphologisch unauffälliger Klappe.

→ 1) Dilatation des Klappenanulus bei Linksherzinsuffizienz unterschiedlicher Genese.

→ 2) Papillarmuskeldysfunktion bei KHK, Myokardinfarkt infolge einer akuten/chronischen Ischämie.

→ 3) Weitere Erkrankungen wie z.B. das Kawasaki-Syndrom, etc.

624 Ursachen der primären bzw. sekundären Mitralklappeninsuffizienz

 

Pathophysiologie:

→ I: Physiologischerweise schließt die Mitralklappe in der frühen Systole, wenn der Druck im linken Ventrikel den des linken Atriums übersteigt. Hierbei halten insbesondere die Chordae tendineae sowie die Papillarmuskeln die Segel unter Spannung geschlossen.

→ II: Besteht jedoch eine Schlussunfähigkeit der Mitralklappe erfolgt zum einen die Regurgitation von Blut (Anteil des HZV) in den linken Vorhof, zum anderen gelangt es in den Systemkreislauf.

III: Folgen dieser Schlussunfähigkeit während der Systole sind u.a.: 

→ 1) Eine Volumenbelastung des linken Atrium, die konsekutiv zu einer Vorhofdilatation führt. Häufig kommt es in diesem Zusammenhang zu Vorhofrhythmusstörungen, insbesondere zum Vorhofflimmern, das die Bildung von Thromben triggert.

→ 2) Im weiteren Krankheitsverlauf wirkt sich dies auch auf den Lungenkreislauf (über die Pulmonalvenen) aus mit Entwicklung von Lungenstauung, pulmonaler Hypertonie und klinischen Symptomen einer Rechtsherzinsuffizienz z.B. peripheren Ödemen, Leberstauung, Aszites, Pleuraerguss, etc.

→ IV: Um das HMV aufrechtzuerhalten, wird kompensatorisch das Schlagvolumen über den Frank-Starling-Mechanismus gesteigert; dieser Mechanismus wird über einen Zeitraum toleriert führt aber schließlich zu einer Volumenbelastung mit Dilatation und Hypertrophie des linken Ventrikels (= exzentrische Hypertrophie). Konsekutiv kommt es zunehmend zu myokardialen Umbauprozessen, die sich in einer kontraktilen Dysfunktion und Abnahme der Pumpfunktion äußern.

 

Klassifikation: Nach der Verlaufsform der Mitralklappeninsuffizienz unterscheidet man zwischen einer: 

→ I: Akute Mitralinsuffizienz: Bei der bakteriellen/rheumatischen Endokarditis sowie Myokardinfarkt durch Abriss z.B. der Chordae tendineae oder Papillarmuskeln. Es kommt akut zu einem Reflux des HZV mit massiver Verminderung der Auswurfmenge. Konsekutiv dilatiert der linke Vorhof, das Blut staut sich in die Lunge zurück und nicht selten entwickelt sich ein Lungenödem bis hin zu einem kardiogenen Schock.

 II: Chronische Mitralinsuffizienz: Sie besteht zumeist aufgrund chronischdegenerativer Veränderungen des Klappenapparates infolge von unterschiedlichen Erkrankungen wie altersbedingte Verkalkungen, Kardiomyopathien, Bindegewebserkrankungen, etc.

 

Klinik: Die klinische Symptomatik richtet sich insbesondere nach der Verlaufsform der Mitralklappeninsuffizienz.

→ I: Chronische MI: 

→ 1) Diese Form verläuft  lange Zeit aufgrund der verschiedenen Adaptionsmechanismen subklinisch. Erst bei Versagen des linken Ventrikels entwickelt sich rasch die klinische Symptomatik mit Müdigkeit, Leistungsminderung, Palpitationen, Dyspnoe intial unter Belastung, später auch in Ruhe, nächtlichem Husten (Asthma cardiale). Im weiteren Kranheitsverlauf kann sich eine pulmonale Hypertonie mit der klinischen Symptomatik einer Rechtsherzinsuffizienz manifestieren.

→ 2) In diesem Stadium ist das klinische Bild dann ähnlich dem der Mitralklappenstenose mit: 

626 Wichtige klinische Symptome der Mitralinsuffizienz

→ II: Akute Mitralinsuffizienz: Bei dieser Form kommt es aufgrund der fehlenden hämodynamischen Adaption des Herzens akut zu einer linksventrikulären Dekompensation. Ursache ist ein massiver Anstieg des linksatrialen Druckes, der zu einem pulmonalvenösen Rückstau mit konsekutiver Ausbildung eines Lungenödems bis hin zum kardiogenen Schock führt. Sie stellt eine akute lebensbedrohliche Notfallsituation dar.

 

  Komplikationen: Schwerwiegende Komplikationen der Mitralklappeninsuffizienz sind u.a.:

→ I: Kardiale Dekompensation mit konsekutiver Ausbildung eines Lungenödems.

II: Vorhofflimmern mit Gefahr der Entwicklung von Thromboembolien.

       III: Gefahr einer Endokarditis.

 

Diagnose:

 I: Klinische Untersuchung/klinische Untersuchung: 

→ 1) Im Vordergrund der Anamnese steht die Eruierung der Vorerkrankungen wie Z.n. Myokardinfarkt, rheumatisches Fieber oder das Vorliegen einer hypertrophen-/dilatativen Kardiomyopathie sowie klinischer Symptome wie Belastungsdyspnoe, nächtlichem Husten, evtl. Zeichen einer Rechtsherzinsuffizienz mit Facies mitralis, peripheren Ödemen etc.

→ 2) Klinische Untersuchung: Mit Inspektion und Palpation: 

627 Diagnostische Befundung der Mitralinsuffizienz 

3) Auskultation: Charateristische Auskultationsbefunde bei der MI sind insbesondere (Abb.: Herzklappen und ihre Auskultationsstellen):

→ A) Leiser 1. Herzton, dem sich direkt ein z.T. sehr intensives (3-4/6) bandförmiges Holosystolikum anschließt; bei der akuten Mitralinsuffizienz manifestiert sich sich zumeist ein sysolisches Decrecendogeräusch (Abb. Differenzialdiagnosen Systolikum); Das Punctum maximum liegt über der Herzspitze, im 5. ICR medioklavikular.  

→ B) Charakteristikum ist die Fortleitung des Systolikums in die Axilla.

C) Insbesondere bei schwerer Mitralklappeninsuffizienz ist der 2. Herzton aufgrund der kurzen ventrikulären Auswurfphase und der pulmonalen Hypertonie gespalten.

→ D) Aufgrund der zumeist ausgeprägten Volumenbelastung manifestiert sich häufig ein 3. Herzton als Ventrikelfüllungston.

625 Auskultationsbefund bei Mitralinsuffizienz

3) EKG:

 → A) P-sinistroatriale (p-mitrale) mit verlängerter > 110ms und doppelgipfliger P-Welle, insbesondere in der II Ableitung.

B) Später Ausbildung eines P-dextroatriale (P-pulmonale) mit Erhöhung der P-Welle > 0,2 mV in den Ableitungen II, III (nach Einthoven), aVF und der Brustwandableitung V1.

C) Zumeist Zeichen einer Linksherzhypertrophie mit Linkstyp oder überdrehtem Linkstyp und einem Sokolow-Index SV1+RV6 > 3,5mV.

D) Besteht eine pulmonale Hypertonie kommt es im Zuge der Rechtsherzbelastung zu einem Steiltyp bis Rechtstyp (EKG-Befund: Herzhypertrophie allgemein).

E) Im weiteren Krankheitsverlauf können sich Erregungsrückbildungsstörungen infolge einer Linksherzschädigung (links/rechtspräkordial) ausbilden, die sich elektrokardiographisch in Form einer deszendierenden ST-Strecke mit (präterminal) negativer T-Welle in den Ableitungen I, aVL und Brustwandableitungen V4-V6 zeigt.
→ II: Bildgebende Verfahren: 

→ 1) Echo/TEE: Dient der Darstellung der Herzzklappen und Messung des linken Vorhofdurchmessers und des Ventrikeldurchmessers. Auch der Nachweis von Thromben im linken Vorhof (TEE), die dopplergestützte Echokardiographie zur Eruierung des Regurgitationsjets (mit Quantifizierung) sowie die Abschätzung der Druckverhältnisse im kleinen und großen Kreislauf kann mittels ECHO bzw. TEE bestimmt werden.

2) Röntgen: (Abb.: Projektionen der Herz- und Gefäßkonturen im Röntgen-Thorax)

→ A) Verlust der Herztaille und Ausbildung eines mitralkonfigurierten Herzens, Abnahme des retrokardialen Raumes durch Hypertrophie des linken Vorhofs und Ventrikels.

B) Verbreiterung der Lungenhili durch prominente Lungenvenen bei Lungenstauung.

C) Nachweis von Kerley-B-Linien in den Lungenunterfeldern bei interstitiellem Lungenödem.

       D) Milchglasphänomen der Lunge bei alveolärem Lungenödem.

628 Änderung der Herzkonfiguration bei Mitralinsuffizienz

3) Linksherzkatheter: Hierbei stehen u.a. die Abschätzung des Insuffizienzgrades, Beurteilung der Druckverhältnisse im kleinen und großen Kreislauf und nicht zuletzt die Beurteilung Pumpfunktion sowie der Ausschluss einer therapiebedürftigen KHK im Vordergrund.

4) Lävokardiogramm: (Durch Gabe von Kontrastmittel = KM) über einen Herzkatheter wird  das linke Herz, einschließlich der abgehenden Gefäße dargestellt; erfolgt zumeist im Zusammenhang mit einer Koronarangiographie mittels Linksherzkatheter über die A. femoralis). Es dient dem Nachweis des KM-Refluxes und der Regurgitationsfraktion, sowie der Beurteilung des Schweregrads der MI. 

629 Angiographische Schweregradeinteilung der Mitralinsuffizienz

 

Therapie:

→ I: Konservative Therapie: Eine medikamentöse Behandlung sollte eine operative Therapie nicht verzögern. Sie beinhaltet u.a.: 

1) Körperliche Schonung

2) Zur Reduktion der Volumenbelastung  und bei pulmonaler Stauung die Gabe eines Diuretikums wie Torasemid (5-20mg/d). 

→ 3) Herzglykoside (z.B. Digitoxin 0,07mg/d)  zur Steigerung der Pumpfunktion bzw. zur Behandlung eines bestehenden Vorhofflimmerns.

→ 4) Vasodilatatoren: Hierzu zählen NO-Donatoren wie Nitroglycerin, Molsedomin, Isosorbiddinitrat etc. Sie vermindern die Regurgitationsfraktion und erhöhen gleichzeitig das effektiv ausgeworfene aortale Schlagvolumen; zusätzlich werden das linksventrikuläre Volumen und der enddiastolische Druck reduziert und somit die klinische Symptomatik verbessert.

→ 5) AEC-Hemmer: Bei begleitender arterieller Hypertonie kann ein ACE-Hemmer wie Ramipril in einer Dosis von 2,5-10mg/d indiziert sein.

→ 6) Bei bestehendem Vorhofflimmern ist die Applikation eines Kumarinderivates (z.B. Marcumar) mit einem Ziel-INR von 2-3 obligat.

       7) Zusätzlich sollte eine Endokarditisprophylaxe erfolgen.

II: Operative Therapie:

→ 1) Indikationen für die operative Intervention der Mitralklappeninsuffizienz sind u.a.:

630 Indikationen zur operativen Mitralklappen Intervention

 

Klinisch-relevant: Beim operativen Verfahren sollte eine Rekonstruktion der Klappen einem Klappenersatz immer vorgezogen werden.

 

→ 2) Verfahren: Im Vordergrund stehen die Rekonstruktion der Klappe durch quadranguläre Resektion des posterioren Segels und anschließende Raffung des Klappenanulus durch Implantation eines Klappenrings. Hierbei liegt die OP-Letalität bei 2,4%. Eine weitere operative Intervention ist der mechanische oder biologische Klappenersatz. Wichtige Kontraindikationen sind eine linksventrikuläre EF < 20% oder das OP-Risiko ist größer als der Nutzen. Die OP-Letalität beim Klappenersatz liegt bei 8,4%.

→ 3) Postoperativ: Bei der mechanischen Prothese erfolgt eine lebenslange Antikoagulation, bei der biologischen Prothese eine 3 monatige mittels Marcumar.

 → III: Interventionelle Therapie: Bei Inoperabilität und schwerer chronischer Mitralklappeninsuffizienz ist eine interventionelle Kathetertherapie mit Mitralsegel-Clipping indiziert. Beim Mitralsegel-Clipping wird ein Katheter mit einem Clip ausgestattet über die V. femoralis in das rechte Atrium vorgeschoben und über das Septum atriale in das linke Herz, zur Mitralklappe weitergeführt. Der Clip wird am vorderen und hinterem Mitralsegel befestigt und somit werden die Segel zusammengefügt. Die Kontrolle der Befestigung erfolgt über die TEE. Ziel dieser Technik ist eine sichtbare Reduktion der Mitralklappeninsuffizienz. Prognostisch liegt die mittlere 5-Jahresüberlebenschance bei ca. 80%, die 10-Jahresüberlebenschance bei 60% und ist stark abhängig vom Grad der Mitralklappeninsuffizienz.

 

Prophylaxe: Die Kontrolluntersuchungen richten sich nach dem Schweregrad der MI und erfolgen alle 6-12 Monate, um eine frühzeitige Indikation für eine Operation zu erkennen. Die klinische Untersuchung beinhaltet EKG, Echokardiographie und Röntgen Thorax.