Allgemein: Antipsychotika greifen in den zerebralen Stoffwechsel der verschiedenen Transmittersysteme, insbesondere Dopamin, Serotonin und Glutamat, ein. Sowohl die Wirkung als auch die Nebenwirkungen lassen sich durch den Dopaminantagonismus am D2-Rezeptor erklären. Im Behandlungsverlauf können sich unter der Neuroleptika-Therapie Nebenwirkungen ausbilden, die sich z.T. durchaus verändern. So können sie sich zum einen durch Gewöhnung reduzieren (z.B. Sedierung), zum anderen aber auch verstärken oder erst in einer späteren Therapiephase ausbilden. Die typischen Nebenwirkungen entwickeln sich direkt durch Bindung an die unterschiedlichen Rezeptoren. Insbesondere die Bewegungsstörungen bereiten den Patienten große Probleme und verursachen häufig einen Therapieabbruch. Ursache dieser extrapyramidal-motorischen Störungen ist die Antagonisierung des D2-Rezeptor insbesondere im nigrostriatalen System, die dosisabhängig ist. In diesem Zusammenhang ist zu Therapiebeginn eine einschleichende Dosierung oblilgat.

585 Dopaminerge Bahnen im Gehirn

 

→ Klinisch-relevant:

→ A) Je größer die Affinität des Antipsychotikums zum D2Rezeptor ist, desto häufiger treten extrapyramidal-motorische Störungen (= EPMS) auf.

→ B) Allgemein kann gesagt werden, dass hochpotente klassische Neuroleptika häufiger Bewegungsstörungen hervorrufen als niederpotente Neuroleptika oder atypische Antpsychotika.

 

Klassifikation: Charakteristische Nebenwirkungen unter der Behandlung mit Neuroleptika sind  extrapyramidal-motorische Störungen. Sie gehören zu den die Patienten am meisten beeinträchtigenden, unerwünschten Wirkungen, die zumeist bei hochpotenten Neuroleptika auftreten, jedoch seltener bei einigen atypischen Neuroleptika auftreten können (Amisulprid > Risperidon > Aripiprazol > Quetiapin). Hierzu zählen u.a.: 

I: Frühdyskinesien: Sie treten in bis zu 15-20% der Fälle vorübergehend, gerade zu Behandlungsbeginn in der ersten Behandlungswoche z.B. der Schizophrenie (z.T Stunden bis einige Tage nach Therapiebeginn) auf und korrelieren mit der Geschwindigkeit der Dosissteigerung (= dosisabhängig). Zudem können sie sich im weiteren Therapieverlauf auch bei weiterer Dosissteigerung manifestieren. Besonders gefährdet sind junge männliche Patienten.

→ 1) Prädispositionen: Es existieren Faktoren, die die Entwicklung von Frühdyskinesien begünstigen. Hierzu zählen u.a. rasche Dosissteigerung, Einnahme von hochpotenten konventionellen Neuroleptika, das Alter (bevorzugt bei Patienten < 45. Lebensjahr.), männliches Geschlecht und nicht zuletzt vorbestehende Hirnschädigungen.

2) Symptome: Charakteristisch und häufig Symptome sind u.a. Zungen-, Schlund- und Blickkrämpfe, des Weiteren findet man Krämpfe der Kiefermuskulatur (Trismus), Gesichtsmuskulatur und Nackenmuskulatur, unwillkürliche Bewegungen der Gesichtsmuskulatur und auch choreatisch-athetoide Bewegungen des Halses und der oberen Extremität. Die Symptome sind primär harmlos und reversibel. Sie werden häufig als sehr schmerzhaft und quälend empfunden.

→ 3) Therapie der Frühdyskinesien: Allgemeine Therapieregeln zur Vermeidung der Frühdyskinesien sind:

→ A) Aufklärung des Patienten über mögliche Nebenwirkungen, bei bestehender Symptomatik sollte der Patient beruhigt werden.

→ B) Präventive einschleichende und ausschleichende Behandlung des hochpotenten Neuroleptikums,

→ C) Substitution eines Anticholinergikums z.B. Biperiden oral 2-5mg (= Akineton) oder i.m. bzw. i.v. in einer Dosis von 1-2mg zur raschen Reduktion der Störung bei möglicher gleichzeitiger Dosisreduktion der auslösenden Wirksubstanz.

→ D) Evtl. Umstellung auf ein Antipsychotikum der 2. Generation.

 

Klinische-relevant:

→ A) Die Behandlung der Frühdyskinesien durch langfristige, hochdosierte Gabe von Biperidon (Akineton) kann aufgrund der euphorisierenden Wirkung zur Abhängigkeit und deliranten Symptomen führen.

 B) Frühdyskinesien bzw. ihre inkonsequente Behandlung führen häufig zur Non-Compliance. 

C) Deshalb ist eine prophylaktische Komedikation mit einem Anticholinergikum wie Biperidon zu Behandlungsbeginn sinnvoll.

 

 II: Parkinsonoid: Ein medikamentös durch klassische (hochpotente) Neuroleptika ausgelöstes Parkinson-Syndrom manifestiert sich zumeist erst nach 1-2 wöchiger Therapie, betrifft bis zu 15-20% der Patienten und ist dosisabhängig.

→ 1) Prädisposition: Prädisponierende Faktoren sind zu hohe Dosierungen, Einnahme eines hochpotenten klassischen Neuroleptikums, mittleres und höheres Lebensalter sowie das weibliche Geschlecht.

 2) Symptome: Initial zeigen sich Störungen der Feinmotorik, dann des gesamten Bewegungsapparates mit der klassischen Symptomkonstellation bestehende aus Tremor, Rigor (durch Zunahme des Muskeltonus) und Akinesie. Weitere Symptome sind Bewegungsarmut, Hypo- bis Amimie und Salbengesicht, kleinschrittiges Gangbild, monotone Sprache sowie Speichelfluss. Beim Parkinsonoid weist die klinische Symptomatik charakteristischerweise einen symmetrischen Befall auf; zudem besteht häufig eine dysphorisch-depressive Grundstimmung.

 3)Therapie:

→ A) Reduktion des Antipsychotikums

 B) Umstellung auf ein atypisches Neuroleptikum.

C) Die Gabe eines Anticholinergikum (Biperidon: 4-12mg/d per os) ist meist unbefriedigend und vermindert zusätzlich die antipsychotische Wirkung des Neuroleptikums.

 III: Akathisie und Tasikinesie:  Entwickeln sich bei ca. 20% der Fälle in den ersten Therapiewochen (1-7. Woche) mit einem klassischen, hochpotenten Neuroleptikum (seltener bei niederpotenten oder atypischen Neuroleptika). Stellen einen sehr häufigen Grund für einen Therapieabbruch dar.

1) Prädisponierende Faktoren sind mittleres Lebensalter, weibliches Geschlecht, hohe Tagesdosierungen sowie die Einnahme eines klassischen hochpotenten Neuroleptikums.

 2) Symptome: Charakteristische Symptome sind u.a.:

725 Wichtige extrapyramidal motorische Störungen

 2) Therapie: Die Applikation eines Anticholinergikums hat nur unzureichende, sehr unbefriedigende Effekte, sodass nachfolgende Maßnahmen im Vordergrund stehen:

→ A) Dosisreduktion,

 B) Umstellung auf ein Antipsychotikum der 2. Generation, das eine geringere Affinität zum D-2-Rezeptor aufweist.

→ C) Substitution eines Benzodiazepins, welches einen guten Effekte auf die Akathisie bzw. Tarsikinesie und mögliche begleitende Schlafstörungen hat. Es kann jedoch aufgrund der ausgeprägten Abhängigkeitsgefahr (Benzodiazepinabhängigkeit) nur über ein kurzes Zeitinvervall von ca. 2 Wochen verabreicht werden.

D) Die Applikation von Cyprohepatdin, Vitamin E oder eines Beta-Blockers wie Propranolol 3x 10-20mg/d gelten als "Off-Lable" Behandlungsmaßnahmen.

IV: Spätdyskinesien/tardive Dyskinesien: Diese treten zumeist mit einer Latenz von Monate bis Jahre nach Therapiebeginn insbesondere mit einem klassischen hochpotenten Neuroleptika auf.

  1) Risikofaktoren: Sind vor allem: Hohe Tagesdosierungen mit hochpotenten Neuroleptika, Kumulation der Neuroleptikadosen, aber auch höhes Alter, weibliches Geschlecht, zerebrale Vorschädigung, affektive Störungen und nicht zuletzt somatische Erkrankungen wie z.B. der Diabetes mellitus.

→ 2) Pathogenese: Angenommen wird eine Up-Regulation (Zunahme) der Dopamin-Rezeptoren, induziert durch die Einnahme von Neuroleptika. Begründet wird die Hypothese, dass Anticholinerika bzw. das Absetzten von Neuroleptika die Symptome verstärken/verschlechtern.

 3) Symptome:

→ A) Orofaziale Symptome: Es handelt sich um repetitive, stereotype Saug-, Schmatz- und Zungenbewegungen (z.B. Rausstrecken der Zunge), Tics der Gesichtsmuskulatur, Grimassierung und evtl. dem Rabbit-Syndrom (= Vertrikal gerichteter rhythmischer Lippentremor).

B) Körpersymptome: Gerade im Bereich der Extremitäten, der Hände und Finger findet man unwillkürliche z.T. athethotische Bewegungsabläufe sowie Schaukelbewegungen des Rumpfes.

 

Klinisch-relevant:

→ A) Die dauerhafte Gabe eines Anticholinergikums erhöht die Auftrittswahrscheinlichkeit der Spätdyskinesie.

→ B) Die Spätdyskinesien werden durch Stress und Dosisreduktion verstärkt.

 C) Sie sind nicht selten (30-50% der Fälle) irreversibel.

 

  4) Therapie: Die Behandlung der Spätdyskinesie ist insbesondere bei schweren Verlaufsformen unbefriedigend und nicht selten irreversibel.

→ A) Dosisreduktion oder Umstellung auf ein atypisches Antipsychotikum wie Clozapin oder Olanzapin.

 B) Eventuell zusätzliche Gabe eines schwachpotenten Neuroleptikums oder Benzodiazepins.

 C) Gabe von Vit. E und Tiaprid kann zu einer Symptomverbesserung führen.

 5) Prophylaxe: Ist eine strenge Indikationsstellung sowie eine möglichst niedrige Dosierung eines hochpotenten klassischen NL.

 → V: Malignes neuroleptisches Syndrom: Ist eine lebensbedrohliche Nebenwirkung bei Einnahme insbesondere der klassischen hochpotenten Neuroleptika, seltener aber auch bei atypischen Antipsychotika wie z.B. Clozapin. Charakteristische Symptome sind vor allem Hyperthermie, Muskelrigidität und autonome Instabilität.

726 Wichtige Aspekte der extrapyramidal motorischen Störungen

 

 Weitere Nebenwirkungen:

→ I: Sedierung: Sie wird durch den Antagonismus an H1-/Alpha1-Rezeptoren erreicht. Diese Nebenwirkung macht man sich bei den niederpotenten NL zu Nutze. Über die H1-Rezeptoren (histaminergen) entwickelt sich zusätzlich noch eine z.T. ausgeprägte Gewichtszunahme. Unter den atypischen NL weisen vorwiegend Quetiapin, Olanzapin, Clozapin und Zotepin einen solchen sedierenden Effekt auf.

 II: Anticholinerge NW: Durch Blockade cholinerger M1/M2 Rezeptoren mit:

→ 1) Peripheren anticholinergen Störungen: Hierzu zählen Mundtrockenheit, Schwitzen, Akkomodationsstörungen (Pilocarpin-Tropfen), Obstipation bis hin zum paralytischen Ileus, Miktionsstörungen bis hin zum Harnverhalten und Entwicklung eines Glaukoms.

→ 2) Zentrale anticholinerge Störungen: Hierbei stehen insbesondere kognitive Störungen sowie das anticholinerge Delir im Vordergrund.

 

→ Klinisch-relevant: Durch Blockade der M2-Rezeptoren wird direkt ein kardialer anticholinerger Effekt mit Steigerung des des arrhythmogenen Potenzials (z.B. Sinusthykardien, supraventrikuläre Extrasystolen etc.) hervorgerufen.

 

 III: Kardiovaskuläre NW: 

→ 1) Unter der medikamentösen Therapie von Neuroleptia besteht durch den direkten Einfluss auf Na+ und K+-Kanäle des kardialen Reizleitungssystems die Gefahr der Entwicklung einer vital bedrohlichen Kammertachykardie mit konsekutivem plötzlichen Herztod. Ursache ist die Verlängerung der QTc-Zeit. Kritische QTc-Zeit-Verlängerungen sind:

→ A) Werte über 440ms bei Männern und 450ms bei Frauen gehen mit einem hohen ventrikulären Arrhythmierisiko (mit Entwicklung des plötzlichen Herztodes) einher.

→ B) Ab Werten > 480ms sollte aufgrund der Entwicklung eines Torsades-de-pointes-Syndrom (EKG-Befund: Torsades-de-Pointes Tachykardie) ein sofortiges Absetzten der Medikation erfolgen.

→ 2) Insbesondere die Antipsychotika Pimozid, Thioridazin, Ziprasidon, Sertindol, aber auch Droperidol und die hochdosierte i.v.-Applikation von Haloperidol führen zu QTc-Verlängerungen. 

 

 Klinisch-relevant: Regelmäßige EKG-Kontrollen sind bei Antipsychotikabehandlungen obligat. Die intravenöse Applikation von Haloperidol sollte nur unter Monitoring erfolgen.

 

→ 3) Ab es können sich auch weitere Herzrhythmusstörungen wie AV-Block (EKG-Befund: AV-Block), Veränderungen des QRS-Komplexes (ventrikuläre Leitungsstörungen) und T-Wellen-Veränderungen manifestieren.

→ 4) Durch die Blockade adrenerger Rezeptoren (Alpha1-Rezeptoren) stehen Schwindel, Blutdruckabfall, orthostatischer Dysregulation (= orthostatische Hypotonie) und Synkope im Vordergrund; Kompensationsmechanismus ist der Anstieg des Pulses (= reflektorische Tachykardie). Hiervon sind überwiegend die klassischen, niederpotenten Antipsychotika sowie Clozapin, Quetiapin und Risperidon betroffen.

→ 5) Weitere kardiale Komplikationen sind u.a. die Ausbildung von Myokarditiden und Kardiomyopathien, insbesondere unter Fluphenazin, Chlorpromazin, Clozapin, Olanzapin, Risperidon etc.

→ IV: Stoffwechselstörungen/metabolisches Syndrom: Bei den Antipsychotika der 2. Generation (z.B. Olanzapin, Clozapin), aber auch bei den niederpotenten, klassichen Neuroleptika manifestiert sich häufig eine ausgeprägte Gewichtszunahme (bis zu 30-40kg) mit konsekutiven metabolischen Störungen wie Hyperglykämie, Hyperlipidämie und dem gesteigerten Risiko für kardio- und zerebrovaskuläre Ereignisse (z.B. Myokardinfarkt, zerebrale Ischämie). Dieser Pathomechanismus beruht auf der Hemmung der H1-Rezeptoren.

→ V: Sexuelle Funktionsstörungen:

→ 1) Gerade Amisulprid, Risperidon und Zotepin sowie viele der klassichen Neuroleptika führen durch Blackade der D2-Rezeptoren im tuberoinfundibulären System zu einer erhöhten Prolaktin-Plasmakonzentration.

→ 2) Charakteristische Symptome sind Galaktorrhö (in bis zu 80% der Fälle), Menstruationsstörungen mit z.B. Amenorrhö (15-25%), Gynäkomastie beim Mann, sexuelle Funktionsstörungen, aber auch Osteoporose oder die Entwicklung eines Syndroms der inadäquaten ADH-Sekretion.

→ VI: Zentralnervöse Störungen:

→ 1) Vor allem anticholinerg-wirkende Substanzen wie die klassichen Neuroleptika, aber auch Clozapin und Olanzapin können delirante Zustände insbesondere bei Patienten mit neurologischer Vorschädiung (z.B. frühkindliche Hirnschädigung, SHT, Demenz etc.) ausgelöst werden.

→ 2) Zudem senken viele Neuroleptika die Krampfschwelle.

→ VII: Weitere Nebenwirkungen: Sind u.a.:

→ 1) Hepatisch: Mit Erhöhung der Transaminasen, und der alkalischen Phosphatase insbesondere passager zu Therapiebeginn (eine passagere Erhöhung der Transaminasen bis zum 3-fachen des Referenzbereiches wird toleriert). Sehr seltener Nachweis einer medikamentös-induzierten, nekrotisierenden Hepatitis.

→ 2) Blutbildungsstörungen: Hierzu zählen vor allem Panzytopenie, gefährliche Thrombozytopenie sowie die Agranulozytose (Neutropenie < 500/ml), die nur sehr auftreten. Ausnahme stellt Clozapin dar, das in 2% der Fälle eine Agranulozytose verursacht.  

→ 3) Allergisch/dermatologisch: Mit vermehrtem Auftreten von Arzneimittelexanthem, lichtinduzierten Reaktionen mit akuter Rötung und Pigmentablagerungen, etc.

 

Klinisch-relevant: Bei der Antipsychotikatherapie besteht kein Abhängigkeitspotenzial.